Jahrmarkt-Geschichte aus Rot am See: Vater ist in Musdorf verschwunden!
Sonderveröffentlichung

Sou, bisch trotzdemm doa? - Muswiesen-Sonderbeilage 2021 Jahrmarkt-Geschichte aus Rot am See: Vater ist in Musdorf verschwunden!

  

Beim billigen Jakob begann der Muswiesentag der Unterländer, der einen gänzlich unerwarteten Ausgang nahm. Foto: Archiv der Gemeinde Rot am See

18.10.2021

Blick ins Archiv: Manfred Wankmüller (der legendäre „mw“) schrieb 1978 unnachahmlich über eine Episode, die sich ein Jahr zuvor auf der Muswiese zugetragen hatte. Haben auch Sie solche Geschichten vom Festplatz parat? Dann erzählen Sie uns davon!       

Weib, mir fahret einmal auf die berühmte Muswiese ins Hohenlohische“, so etwa sprach im vorigen Jahr ein Heilbronner Bürger zu seiner Eheliebsten, und diese Ankündigung wurde wahrgemacht. Die beiden setzten sich am Muswiesenmittwoch in ihr Auto, fanden den Weg nach Musdorf und parkten auf einer der Wiesen vor dem kleinen Marktort.

Beim billigen Jakob gleich unterhalb von Sankt Michael blieben sie erstmals stehen, vernahmen dort ein paar herzhafte bayerische Saft- und Kraftsprüche und kauften daraufhin ein neupatentiertes Kartoffelschälmesser. Fünfzig Meter weiter tätigte der Ehemann einen weiteren Kauf an Gührers buntglitzernder Losbude, der ihm einen Gewinn einbrachte, einen enormen Plüschteddybären, den er fortan fest unter den Arm geklemmt hielt. Danach durchschritten sie die endlosen Budenreihen, wo er sich einen farbenbunten Schlips erwarb und sie als Andenken ein Lebkuchenherz mit einem schönen Sinnspruch bekam und schließlich kehrten sie in einer hohenlohischen Bauernwirtschaft ein. Dort war alles gepfropft voll, doch an einem Tisch rückte eine Schar fröhlicher hohenlohischer Landmenschen zusammen und machte den Gästen aus dem Unterland Platz. 
         

Nun schmeckt eine Schlachtplatte auf der Muswiese und zumal in einem von der guten Stube bis zum Schlafzimmer ausgeräumten Bauernhaus besonders gut, und sie macht einen schönen, den ganzen inneren Menschen erfreuenden Durst. Weshalb der Ehemann zunächst zwei Krüge Bier zum Essen trank, dahinter einen doppelten Schnaps inhalierte zwecks besserer Verdauung und in Fortsetzung seiner Durstlöschung den hohenlohischen Wein probierte, einen Heuholzer Dachsteiger zuerst, der sich namensgemäß verhielt, als nächstes einen Niedernhaller Distelfink, den er auch ganz munter zwitscherte und bald fühlte er sich wie im Siebeneicher Himmelreich.

Nach dem dritten oder vierten Viertele musste der Heilbronner einmal hinaus, da man schließlich nicht endlos oben zur Gurgel Flüssigkeit hineinschütten kann, sie will auch wieder einmal hinaus. Weshalb er, den Bären wieder fest untergeklemmt, eine Stätte zur schicklichen Erledigung suchte und sie nach einigem Umherirren auch draußen im Hof fand.

Er stellte sich vor den dort lagernden Misthaufen, benetzte ihn ordentlich und meinte dann zu dem Bären: „Da, du darfst auch“, was jedoch ohne Folgen blieb, haben doch Gührers Gewinnbären weder oben einen Ein- noch unten einen Auslass. Worauf er ihn geringschätzig fallen ließ.

Schließlich kehrte er zurück, ging erneut Irrwege und geriet über eine steile Stiege in einen dunklen Gang, von wo er in einen kleinen Raum kam und dahinter vernahm er endlich sein Wanderziel signalisierenden Wirtshauslärm.

„Hinein“, sprach er und segelte durch eine Türe. Nun war er zwar in dem ausgeräumten Schlafzimmer, doch befand er sich noch hinter einer spanischen Wand, welche die an die Seite gerückten Ehebetten von den Tischen und Stühlen trennte.

Sei’s nun, dass ihn der mehrstündige Gang über die Muswiese müde gemacht hatte, sei’s dass er sich dem Siebeneicher Himmelreich doch schon sehr nahe fühlte, jedenfalls hatte er beim Anblick der Betten nur noch einen Gedanken: „Schlaf, süßer Schlaf!“ Und gleich darauf schlummerte er auch, angetan mit Jacke, Hose, Schlips und Schuhen, und selig lächelnd wie ein trunksatter Säugling.

Kein Gespräch nebenan störte ihn fortan, kein noch so lautes Gelächter, und er ruhte auch noch, als die Wirtsleute hinter dem letzten Gast das Licht ausdrehten und sich in ihr Notquartier begaben, kann man doch normalerweise in einer verräucherten Wirtsstube nicht schlafen, auch wenn sie sonst das eigene Schlafzimmer ist.

Mittlerweile suchte die von Dachsteiger, Distelfink und Himmelreich weniger betroffene Ehefrau ihren Gatten, aber der war nirgendwo zu entdecken. Sie wanderte tief verstört durch die Budenreihen, sah in das um diese Zeit fast leere Festzelt, visierte ebenso ergebnislos noch ein paar Muswiesengastronomien, beäugte auch misstrauisch den Wohnwagen eines Schaustellers, in dem noch Licht brannte, wurde aber in dieser Einsicht wieder unängstig, weil da einer Aufschrift nach die Dame ohne Unterleib wohnte, und erkundigte sich auch noch im nahen Rot am See nach einem Mann mit einem Teddybären, aber der Vermisste blieb entschwunden.

Auch die Polizei konnte keine Auskunft geben, und so nahm sich die tief verstörte Gattin ein Zimmer und tat einen von tausend Alpträumen bedrückten Schlaf.

Am folgenden Morgen rief sie schon in aller Herrgottsfrühe bei ihren schon erwachsenen Kindern an und ließ weinend wissen: „Der Vatter ist total verschwunde!“ worauf diese sich ebenfalls ins Auto setzten und ins Hohenlohische rasten. Gefunden wurde der Abgegangene jedoch wieder nicht, doch dafür fand sich im Hof der Bauernwirtschaft der Teddybär, und er lag nicht weit neben dem Güllenloch.

„Da liegt er drin, der arme Vatter“, schrillte die Gattin und regte eine sofortige Leer- und Rettungsaktion an.

Schon stand die ganze Familie mit Schöpfern bereit, da kam durch die Hintertür ein ziemlich verknautschter Mann mit offenem Hemd und Schlips geschritten, besah die verstörte Familie und fragte tief erstaunt: „Ja, was macht denn ihr da schon am frühe Morge?“

Worauf er, ohne eine Antwort abzuwarten, auf seine Eheliebste zuging und verkündete: „Haschd du au so gut g’schlafe wie ich? Da mache mir heut noch einen Schöne drauf auf der Muswiese, wir zwei!“

Dem Vernehmen nach bewahrte ihn nur der rasche Zugriff seiner Schwiegertochter davor, dass er nicht doch noch ins Güllenloch geriet! So hart kann einen Unterländer unsere schöne Muswiese ankommen!

Info Es sind solche oder ähnliche Geschichten, die sich immer wieder auf der Muswiese zugetragen haben und zutragen, gestern, heute (wenn nicht gerade Corona wäre jedenfalls), morgen, die man sich erzählt und dabei ein wohliges Gefühl bekommt. Es sind solche oder ähnliche Geschichten, die die Liebe zu diesem Jahrmarkt begründen, sie festigen und ständig erneuern. Kennen Sie solche Geschichten? Dann melden Sie sich: s.unbehauen@swp.de. Wir wollen die Anekdoten zu Papier bringen – natürlich anonym. 
 

"Eine Schlachtplatte macht einen den ganzen inneren Menschen erfreuenden Durst."

"Kein Gespräch nebenan störte den Unterländer fortan, kein noch so lautes Gelächter."