Sonderveröffentlichung

Weihnachtszauber 2019 „Woisch Bua, Heilige send au bloß Leid“

Der Göppinger Mundartautor Bernd Merkle erinnert sich daran, wie er als kleiner Junge unerwarteten Besuch von Nikolaus und Christkind bekam.

Das Christkind und der Nikolaus. Illustration: Wimmer/shutterstock.com

11.12.2019

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Von Bernd Merkle und Inge Czemmel

„Ich sehe mich noch vor dem ausgeräumten Esszimmer mit von innen zugeklebten Schlüssellöchern sitzen und dem Spiel mit der von einem Nachbarn und meinem Vater aufgebauten elektrischen Spielzeugeisenbahn zuhören. Derweil duftete es aus der Küche, in der meine Mutter den Gänsebraten zubereitete. Ich war auch aus der Küche ausgesperrt worden, weil ich überall im Wege war. Doch später wurde ich in die Küche geholt, um bei der Weihnachtsbäckerei zu helfen. Dabei bot sich mir die Gelegenheit von der süßen, rohen Teigmasse zu naschen. „Des läsch jetzd aber bleiba, sonschd langd der Doig nirgens na!“ Das Versprechen nicht mehr zu naschen, konnte ich leicht geben, denn mir war in der Zwischenzeit richtig schlecht geworden.

Es klopft an der Tür

„Woisch Bua, Heilige send au bloß Leid“-2
Der Autor Bernd Merkle. www.schlafgut.com

Just in diesem Augenblick klopfte es energisch an der Tür. Jetzt war mir nicht nur schlecht, sondern auch siedend heiß. Ich ahnte Schlimmes. Ich tat, als hätte ich das Klopfen nicht gehört. „Ja, willsch et uffmacha?“ Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte die Türklinke herunter. Im Türrahmen stand ein Trumm von Nikolaus. Der hatte mindestens die Ausmaße des Metzgermeisters der Frühlingsau von nebenan, dem Max, und der füllte leicht einen Türrahmen aus. Groß und furchterregend stand er vor mir. Ich wich immer weiter zurück und der Nikolaus kam immer näher. Dann sagte er mit seiner tiefen Bassstimme: „Guck mich an, wenn ich mit dir schbrich.“ Anscheinend war der Nikolaus auch ein Schwabe. „Warschd du auch immer brav?“ Ich hatte einen Kloß im Hals und nickte bloß. „Dann wollen wir einmal sehen, ob das auch schdimmd.“ Dann holte er ein dickes Buch hervor, dessen Einband genau so aussah, wie der von der Speisekarte der Frühlingsau. Doch dann las er Dinge daraus hervor, die eigentlich nur Insider wissen konnten. Da war bei mir der Glaube, dass es den Nikolaus tatsächlich gab, wieder gefestigt, obwohl sich in der kleinen und engen Küche allmählich ein leichter Duft nach Metzelsuppe, so wie es eben aus einer Wurstküche herausriecht, breit machte, „Jetzt will ich aber das Chrischdkind fragen, ob ich auch nichts vergessen habe.“ Die Überraschung mit dem Christkind ist ihm vollkommen gelungen. Der Nikolaus kam nun vollends in die Küche, um den Türrahmen freizugeben. Das Fassungsvermögen der Küche war somit erschöpft.

Das Christkind im Nachthemd

Ich senkte meinen Blick, weil ich ja eben dieses kleine, zarte Christkindlein hinter der Tür hervorhuschen sehen wollte. Stattdessen erschien etwas Weißes, Wallendes, nicht enden Wollendes, an dessen oberen Ende sich ein breites, freundlich lächelndes und furchtbar dick geschminktes Gesicht befand. Einen Hals konnte ich nicht entdecken. Der Kopf, bedeckt mit kurzem schwarzem Haar, wurde von einem schief sitzenden goldenen Pappreif geziert. Dieser sollte wahrscheinlich eine Art Heiligenschein darstellen. Ich stand mit offenem Mund da und konnte es nicht fassen. Meine Blicke glitten noch einmal am Christkind hinunter. Dieses lange, bis an den Fußboden reichende Nachthemd, hatte das Ausmaß eines Zweimannzeltes. Unter dem dünnen Nachthemd glaubte ich eine blau-weiß-karierte Küchenschürze hervorschimmern zu sehen. Also ich kannte nur eine Frau, die annähernd an die Ausmaße des Christkinds herankam und das war die Fine, die Frau des Metzgermeisters. Das muss man sich einmal vorstellen: Die Küche gefüllt mit einem riesigen Nikolaus, ich, winzig klein daneben stehend und im Türrahmen das allmächtige Christkind, ebenso ausladend wie der Nikolaus. An Entkommen war da nicht zu denken. Doch das Christkind, das allmächtige, hob mit hoher Fistelstimme an, Gutes über mich zu berichten. Und so musste ich wohl oder übel feststellen, dass ich mich in der optischen Vorstellung von einem Christkind gründlich geirrt hatte.

Nur eines machte mich am Ende doch noch stutzig. Als ich, nachdem sich beide verabschiedet hatten, zum Fenster hinausschaute, sah ich, dass sich das Christkind beim Nikolaus untergehakt hatte und beide der Frühlingsau zustrebten, in der es zu meiner Zeit keine kleinen Kinder gab. Auf meine Frage hin, wie das möglich sei, dass die beiden Heiligen ins Wirtshaus gingen, meinte meine Mutter lakonisch: „Woisch Bua, Heilige send au bloß Leid.“