Frau Taubald, mit dem Abitur stehen die Türen in die Ausbildungsbetriebe offen. Wer die Hauptschule besucht hat, tut sich vergleichsweise schwerer. Stimmt das?
Nicole Taubald: Grundsätzlich haben auch Hauptschüler mit ordentlichen einem Abschluss gute Chancen auf dem Ausbildungsmarkt. Insbesondere dann, wenn vorher ein Praktikum im Betrieb absolviert wurde und der Bewerber seine Motivation für die Ausbildung unter Beweis stellen konnte. Die Praktikumswochen Baden-Württemberg bieten unter dem Motto „,5 Tage, 5 Berufe, 5 Unternehmen“ für Schülerinnen und Schüler dafür eine gute Möglichkeit. Die nächste Möglichkeit ist in den Herbstferien und zwei Wochen davor. Weitere Informationen unter www.praktikumswochen-bw.de.
Welche Möglichkeiten gibt es, für Schulabgänger, den erforderlichen Abschluss nachzuholen? Welche Unterstützung bietet die Arbeitsagentur an?
Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Zum Glück ist unser Bildungssystem sehr durchlässig. So kann man beispielsweise an Berufsfachschulen die mittlere Reife nachholen. Mit dem Modell 9+3 können Haupt- und Werkrealschüler über die Berufsausbildung einen dem Realschulabschluss gleichwertigen Bildungsstand zuerkannt bekommen, wenn sie ihre Berufsausbildung mit einem Notenschnitt von mindestens 3,0 erfolgreich abschließen.
Außerdem gibt es die Möglichkeit, den Schulabschluss zu einem späteren Zeitpunkt über den zweiten Bildungsweg nachzuholen. An Berufskollegs kann die Fachhochschulreife und an Berufsoberschulen das Abitur nachgeholt werden. Wir informieren und beraten zu allen Fragen rund um Schulabschlüsse und geben die Adressen von Schulen weiter.
Welche Programme oder Maßnahmen werden angeboten, um die Schulbildung nachholen zu können? Gibt es finanzielle Förderungen?
Falls man die allgemeinbildende Schule ohne Abschluss verlassen hat, kann man den Hauptschulabschluss in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme erwerben. Die Teilnehmenden lernen in kleinen Gruppen und werden intensiv sowohl auf das Berufsleben als auch auf den Hauptschulabschluss vorbereitet. Diese Maßnahme wird von der Arbeitsagentur vermittelt. Für die Teilnehmer entstehen keine Kosten, sie bekommen für die Zeit in der Maßnahme Berufsausbildungsbeihilfe. Die Externenprüfung ist eine weitere Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu erwerben. Hierfür bereiten sich die Teilnehmenden im Selbststudium darauf vor. Informationen gibt es beim Schulamt vor Ort. Auch an Abendschulen (Volkshochschule) kann ein Hauptschulabschluss nachgeholt werden. Dies muss aber selbst finanziert werden.
Besteht die Möglichkeit, den Abschluss auch parallel zur Ausbildung nachzuholen?
Ja, diese Möglichkeit gibt es. Man kann im Anschluss an die Schulausbildung innerhalb von drei Jahren eine Doppelqualifikation, Berufsabschluss und Fachhochschulreife, erwerben. Voraussetzung ist ein mittlerer Bildungsabschluss und ein Berufsausbildungsvertrag mit einem Ausbildungsbetrieb. Darauf aufbauend kann die Hochschulreife in ein bis zwei Jahren an einer Berufsoberschule erreicht werden.
Was kommt dann auf die Azubis zu? Wie hoch ist das Lernpensum? Wie viele Stunden sollte man bereit sein, aufzuwenden?
Wenn man Interesse an einer Doppelqualifikation hat, sollte man frühzeitig mit seinem Ausbildungsbetrieb sprechen - am besten beim Abschluss des Ausbildungsvertrages. Wer sich dafür entscheidet, erhält außerhalb der betrieblichen Ausbildungszeit Zusatzunterricht. Dieser umfasst je nach Ausbildungsjahr circa. 15 bis 20 Stunden wöchentlich. Er findet in der Regel an Randzeiten wie abends oder samstags statt.
Wie können Schulabgänger ermutigt werden, ihre Bildungslücken zu schließen, um ihre beruflichen Ziele erreichen zu können?
In Deutschland gibt es keinen Abschluss ohne Anschluss. Das bedeutet, es gibt jederzeit die Möglichkeit, Bildungslücken zu schließen und sich sowohl beruflich wie schulisch weiterzubilden. Die Erstausbildung ist nur der Einstieg ins Berufsleben.
Bereits während der Berufsausbildung gibt es eine Ausbildungsvergütung. Mit dem Berufsabschluss in der Tasche ist man als Fachkraft auf dem Arbeitsmarkt gefragt, verdient gut und hat Aufstiegschancen.
Wie schafft man es, auch ohne den passenden Schulabschluss zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden und dann tatsächlich zu überzeugen?
Ohne passenden Schulabschluss ist es schwerer, aber nicht unmöglich, zu überzeugen. Insbesondere in handwerklichen Berufen kann praktische Erfahrung sehr wertvoll sein. Deshalb ist es wichtig, bei der Bewerbung alle praktischen Erfahrungen anzugeben.
Ein Praktikum bietet eine hervorragende Möglichkeit, Arbeitgeber von sich zu überzeugen. Als Praktikant stelle ich meine Fähigkeiten, meine Motivation und mein Interesse für einen bestimmten Beruf unter Beweis. Man lernt nicht nur den Beruf, sondern auch den Arbeitgeber kennen. Und umgekehrt. Der Fachkräftemangel stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Deshalb spielen Schulnoten oder der passende Schulabschluss oft nur noch eine untergeordnete Rolle und es kommt darauf an, dass man persönlich überzeugt.
Wie wichtig ist das Abitur heutzutage für den beruflichen Lebensweg?
Nach wie vor ist die duale Berufsausbildung das deutsche Erfolgsmodell bei der Deckung des Fachkräftebedarfs. Daher kann noch in vielen Bereichen Karriere auch ohne Abitur gemacht werden. Insbesondere in eher ländlich geprägten Regionen wie der unseren gibt es viele Unternehmen, die eine bodenständige Ausbildung im eigenen Haus als Karrierestart befürworten und sich ihre Führungskräfte so sehr gerne „heranziehen“.
Wer studieren möchte, braucht in der Regel Abitur. Welche Möglichkeiten gibt es, auch ohne Hoch- oder Fachhochschulreife studieren zu können.
In allen Studiengängen ist es mittlerweile möglich, über die sogenannte Berufsausübendenquote einen Studienplatz zu erlangen. Dabei wird kein höherer Schulabschluss gefordert. Allerdings muss der Studieninteressierte an einem Beratungsgespräch der Hochschule teilnehmen, um seine Voraussetzungen mit den Anforderungen des anvisierten Studiums realistisch abgleichen zu können. Inzwischen gibt es sogar Bestrebungen, über diesen Weg dem Fachkräftemangel in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Anm.d.Red.) zu begenen.
Ausbildungsbetriebe suchen einerseits nach Nachwuchs. Andererseits haben Bewerber mit Hauptschulabschluss nur geringe Chancen und Realschüler müssen zumindest gute Noten haben. Sind die Ansprüche der Ausbilder zu hoch?
Für die Unternehmen wird es zunehmend schwieriger, die vorhandenen Ausbildungsplätze zu besetzen. Deshalb gehen sie neue Wege der Rekrutierung, wobei Schulnoten oft eine untergeordnete Rolle spielen. Der Blick fällt auf die sogenannten Soft Skills wie Zuverlässigkeit, Motivation und Durchhaltevermögen. Diese Eigenschaften werden meist durch Praktika überprüft. Wir bieten mit der „assistierten Ausbildung“ eine Unterstützung, mit der sich die Kluft zwischen den Erfordernissen des Betriebes und dem Potenzial der Bewerbenden schließen lässt. Das Ziel ist der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung. Das Förderprogramm umfasst unter anderem Stütz- und Förderunterricht sowie sozialpädagogische Betreuung bei Bedarf. Claudia Linz
Info Weitere Infos unter www.arbeitsagentur.de