Mit dem Stummfilmklassiker „Paris qui dort“ (Paris schläft) von René Clair ist diesmal auch das Cinéconcert wieder echt französisch. Es ist heuer im Tübinger Kino Museum zu erleben, weil im Sparkassen-Carré derzeit umgebaut wird und es daher nicht wie gewohnt als Filmtage-Location genutzt werden kann.
Die 100 Jahre alte Schwarz-Weiß-Produktion gilt als frühes Meisterwerk des Sci-Fi-Genres und dürfte auch als Komödie funktionieren: Außer dem Wächter des Eiffelturms und einigen eben gelandeten Flugzeugpassagieren ist ganz Paris dornröschenhaft im Tiefschlaf versunken. Schuld ist ein übereifriger Wissenschaftler, der sich immerhin darum bemüht, die Stadt auch wieder aufzuwecken. Aber das müssen die Reisenden und der Turmwächter erst noch herausfinden, als sie nach Lust und Laune durch Paris ziehen.
Über die kuriose Handlung hinaus zielt der Film auf die Relativität von Zeit. Die innovative Bildsprache zwischen Bewegung und Stillstand, zwischen Stadtaufnahmen und abstrakten Kulissen setzte einst neue Maßstäbe.
Atmosphärisch belebt und gewissermaßen zum Sprechen gebracht wird das schlafwandlerische Geschehen von der Pianistin und Komponistin Eunice Martins und der Klangkünstlerin und Performerin Abril Padilla, die mehr als zehn Jahre Erfahrung mit gemeinsamen Stummfilm-Projekten haben.
Info: Das Cinéconcert ist am Freitag, 31. Oktober, um 20 Uhr im Tübinger Kino Museum. Englische Zwischentitel mit deutschen Untertiteln. Ein Ticket kostet 16 Euro. Der Vorverkauf läuft über das Kino Museum. Kinder von 8 bis 12 Jahren haben freien Eintritt.
Menschen ohne Plan
Festivalgast Léonor Serraille hat ein Auge für Figuren, denen gerade alles durcheinandergerät.
In ihrem Langfilmdebüt „Bonjour Paris“ aus dem Jahr 2017 landet die 31-jährige Paula (Laetitia Dosch) nach einer Zeit in Mexiko und einer Trennung wieder in Paris: ohne Plan, Wohnung oder Job.
Die 39-jährige Französin ist die bisher jüngste Regisseurin, die eine Werkschau bei den Filmtagen bekommt. Sie kam als Drehbuchautorin zum Film, begann sich aber so stark für die Figuren zu interessieren, dass sie unbedingt auch selbst Regie führen wollte. Bereits 2016 drehte sie den 42-Minuten-Film „Body“ über die Krankenpflegerin Cathy (Nathalie Richard), die sehr für sich lebt und sich zunächst freut, als an ihrem Geburtstag ihre Schwester anruft und sie an den Strand einlädt – obwohl sie sich mit ihr zerstritten hat. Doch der Tag entgleitet ihr (Blaue Brücke, Samstag, 1. November, 18.30 Uhr. Englische Untertitel. Nach der Vorstellung gibt es ein Werkstattgespräch mit Léonor Serraille).
In ihrem aktuellen Spielfilm „Ari“ scheint dem angehenden Grundschullehrer Ari (Andranic Manet) sein anvisierter Lebensplan schlagartig um die Ohren zu fliegen: Er bricht im Unterricht überfordert zusammen und verliert auch noch die Wohnung, weil sein Vater ihn als Versager beschimpft und aus dem Haus wirft. Der 27-Jährige nimmt Kontakt zu alten Freundinnen und Freunden auf und merkt auch bei neuen Begegnungen, dass andere auch nicht so erfolgreich sind, wie er dachte. Über seine Erfahrungen hinaus macht der einfühlsame Porträtfilm Konflikte, Motivationen und Selbstbezogenheit einer ganzen Generation sichtbar.
In Serrailles Spielfilm „Un petit frère“ (Ein kleiner Bruder) von 2022 übersiedelt Rose (Annabelle Lengronne) mit ihren beiden Söhnen 1989 von der Elfenbeinküste nach Paris. Der Film folgt der Familie bis in die Normandie des Jahres 2010.
Info: Alle Filme von Léonor Serraille werden bei den Filmtagen vorgestellt.