Zum Aufwachen nachts um 3 Uhr brauchte Gerda Siehler noch nie einen Wecker. „Wenn Not am Mann war, hat mein Mann mich gerufen und ich bin in der Backstube eingesprungen und hab Brezeln geschlungen", berichtet sie.
Auch jetzt wacht sie noch jede Nacht um diese Zeit auf - obwohl die Bäckerei Siehler in Bad Überkingen seit dem 31. Dezember geschlossen hat. Bis dahin hat die 81-Jährige noch mitgearbeitet, vorne im Laden, hinten in der Backstube oder wo sie sonst gebraucht wurde. ,,Aber jetzt ist es Zeit, dass eine junge Generation rankommt, mit frischer Kraft und Energie, die den heutigen Anforderungen gewachsen ist", sagt sie und begründet damit, warum sie die Ära der Bäckerei Siehler in Bad Überkingen beendet hat. Mit Thorsten und Markus Bopp, 32 und 28 Jahre alt, steht eine solche junge Generation bereit, in die - „zugegebenermaßen großen Fußstapfen", wie Markus Bopp sagt zu treten.
Seniorchefin Bäckerei Siehler
Für die Bäckerei Bopp aus Türkheim ist der Laden in Bad Überkingen dann die 10. Bopp-Filiale in der Region. In den vergangenen Wochen unterzogen sie den Laden mit Farbe, neuen Lampen und neuen Stühlen für den Cafébereich einem ,,Facelift", so drückt sich Thorsten Bopp aus. In die Backstube zog ein neuer kleiner Ofen, um den ganzen Tag über Brezeln und Wecken frisch herauszubacken.
Die Bäckerei Siehler gibt es in Bad Überkingen bereits seit vor dem Zweiten Weltkrieg. Ganz genau weiß Gerda Siehler es nicht mehr, aber es war der Großvater ihres Mannes Hans, der im landwirtschaftlichen Anwesen neben dem heutigen Gebäude Brote backte und verkaufte.
1964 heirateten Gerda und Hans Siehler und fortan wurde aus der gelernten Textilverkäuferin eine Allzweckwaffe im schwiegerelterlichen Betrieb. ,,Damals feuerten wir den Backofen noch mit Holz und Briketts", erinnert sich Gerda Siehler an ihre Anfänge.
Jahre später bauten Hans Siehler und sein Vater das Gebäude inklusive Bäckerei und Backstube am heutigen Standort, für den Junior und seine Frau Gerda wurde es fortan zum Lebensmittelpunkt.
,,Mein Schwager war ein ganz Genauer", so charakterisiert Gerda Siehlers Bruder Georg Schmid den vor knapp neun Jahren verstorbenen Hans Siehler. Wegen seiner Brezeln und auch wegen des Brots und anderen Gebäcks seien Kunden oft von weit hergefahren. ,,Er war Bäcker mit Leib und Seele", sagt Schmid, ergänzt jedoch: ,,Aber die Konditorei, die war sein Steckenpferd." Nicht ohne Grund gibt es den großen Siehler-Bienenstich in Variationen inzwischen in zahlreichen Bäckereien.
Den wird es auch weiterhin geben, verspricht Bäckermeister Markus Bopp - und zusätzlich die eigenen Highlights, wie etwa das Steinofenbrot oder die „Roten Wecken", für die die Bäckerei ,,Bopp" bekannt ist. ,,Wir werden uns anstrengen, dem guten Ruf der bisherigen Bäckerei Siehler gerecht zu werden", betont auch Thorsten Bopp.
Schnelle Eröffnung
Das Brüderpaar hat sich mit der Wiedereröffnung des Ladens "richtig beeilt", wie sie sagen. Obwohl das gar nicht so einfach war, "weil die Handwerker keine Zeit hatten." Aber dass die Leute im Dorf auf "ihren Bäcker" warten, wissen sie aus ungeduldigen E-Mails, die sie inzwischen schon mehrmals erreicht haben.
Es ist ihnen auch selber wichtig, weil sie wissen, dass die Nahversorgung im Ort gewährleistet werden muss. Manche der 17 Mitarbeiter der Bäckerei Siehler nutzten den Umbruch, um in Rente zugehen. Alle anderen, die es wollen, werden von der Bäckerei Bopp übernommen.
Gerda Siehler ist froh darüber. Auch darüber, dass sie mit der Bäckerei Bopp einen qualitativ hochwertigen Nachfolger gefunden hat. Dennoch ist ihr der Schritt schwergefallen: ,,I hab's ällaweil gern g'macht", sagt sie mit Nachdruck. Claudia Burst