Schulischer Aufstieg und Chancen für alle
Die meisten Jugendlichen besuchen, nachdem sie eine allgemeinbildende Schule abgeschlossen haben, eine Berufliche Schule. Dort können sie zum einen gezielt einen Beruf erlernen, zum andern haben sie die Möglichkeit, allgemeine Schulabschlüsse zu erwerben – vom Hauptschulabschluss über den Mittleren Abschluss und die Fachhochschulreife bis zum Abitur.
Berufliche Schulen ermöglichen den schulischen Aufstieg durch eine Vielzahl von Bildungsangeboten und sorgen damit gleichzeitig auch für Chancengerechtigkeit im Anschluss an das allgemeinbildende Schulwesen. Von der Förder-, Werkreal-, Haupt-, Gemeinschafts- und der Realschule aus, bietet das berufliche Schulwesen allen Schulabgängerinnen und Schulabgängern vielfältige Möglichkeiten, sich weiter zu qualifizieren.
Sie bieten damit auch optimale Chancen für junge Menschen, die erst später eine ausreichende Motivation haben und genügend Einsatz zeigen, um einen höheren Abschluss zu erreichen. Ebenso bieten sich unter bestimmten Bedingungen Weiterbildungsvarianten im Anschluss an eine beendete Ausbildung oder für junge Menschen, die bereits im Berufsleben stehen.
In den Landkreisen Reutlingen und Tübingen gibt es derzeit insgesamt elf berufliche Schulen mit rund 13 000 Schülern. Berufliche Schulen unterscheiden sich nach Typen: Es gibt gewerbliche, hauswirtschaftliche und kaufmännische Zweige. Jede Berufliche Schule ist eine Art „Gesamtschule“. Das heißt, es werden unterschiedliche Schularten unter einem Dach angeboten. Meist sind es gut ein Dutzend verschiedene Schularten, die zu ganz unterschiedlichen Abschlüssen führen.
Der Bildungsauftrag der Beruflichen Schulen ist vielfältig: Zunächst gilt es, als dualer Partner der Unternehmen in der Region in rund 80 verschiedenen Ausbildungsberufen Fachkräfte im Handwerk, in der Industrie, der Haus- und Landwirtschaft, wie auch im Sozial- und Dienstleistungsbereich auszubilden. Bundesweit gibt es in der dualen Ausbildung rund 330 anerkannte Ausbildungsberufe. Im vergangenen September haben deutschlandweit insgesamt mehr als 500 000 Jugendliche einen Ausbildungsvertrag neu abgeschlossen und eine betriebliche Ausbildung im Dualen System (Ausbildungsunternehmen und Berufsschule) begonnen.
Gerade dieses spezifisch deutsche System der beruflichen Ausbildung begründet den hohen Standard der Fachkräftequalifikation in Deutschland und deren internationale Reputation im Vergleich zur Praxis der verschulten Ausbildungssysteme in den meisten anderen Ländern. Nicht zuletzt bildet das Duale System der beruflichen Bildung in Deutschland damit auch die Voraussetzung für die europaweit niedrigste Jugendarbeitslosigkeit.
Berufliche Weiterbildung
An den elf Beruflichen Schulen in Reutlingen und Tübingen ist aber auch die berufliche Weiterbildung ein wichtiges Thema. Das Angebot der hiesigen Meisterschulen bietet für viele Industrie- und Handwerksberufe die Möglichkeit, nach einem Jahr Schulbesuch die Meisterprüfung abzulegen, und an den Fachschulen in Reutlingen und Tübingen kann man es in zwei Jahren auf diesem Weg bis zum staatlich geprüften Betriebswirt oder Techniker bringen.
Dass es neben der universitären Ausbildung in vielen Studiengängen auch die beruflichen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gibt, ist von großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Die Wirtschaftskraft Deutschlands beruht im Wesentlichen auf kleineren und größeren Industrie- und Handwerksbetrieben. Die Versorgung der Menschen durch Dienstleistungen aller Art ist elementar wichtig und wird überwiegend von Menschen erbracht, die nicht studiert haben.
Durch Zusatzunterricht abends und an den Wochenenden besteht für Auszubildende mit einem mittleren Abschluss zudem die Möglichkeit, parallel zur Berufsausbildung die Fachhochschulreife als Zusatzqualifikation in ihrer dreijährigen Ausbildungszeit abzulegen. Eine gute Bildung und Ausbildung und die hohe Bereitschaft für das lebensbegleitende Lernen sind die besten Voraussetzungen, um auf die sich verändernden gesellschaftlichen und beruflichen Herausforderungen reagieren zu können.
Die Berufsvorbereitung für Geringqualifizierte gehört ebenfalls zum Bildungsauftrag der Beruflichen Schulen. Rund 50 000 aller Schulabgänger verlassen laut Statistischem Bundesamt jährlich in Deutschland eine allgemeinbildende Schule ohne Hauptschulabschluss. Insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist die Zahl der Schulabsolventen ohne Abschluss hoch. Die Beruflichen Schulen bieten Jugendlichen, die aus dem Ausland neu hierhergezogen sind, die Möglichkeit, intensiv die Sprache zu erlernen und entsprechende Zertifikate zu erwerben. Und sie bieten die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzumachen oder einen vorhandenen Abschluss zu verbessern und so die Chancen für eine erfolgreiche Ausbildung zu vergrößern.
Zeiten, in denen die Schulen pandemiebedingt keinen Präsenzunterricht anbieten und damit auch nicht mehr intensiv fördern konnten, haben die Situation verschärft. Aufgabe der Beruflichen Schulen ist gerade bei Jugendlichen ohne Schulabschluss und bei Schulabgängern mit geringer Qualifikation, die Schülerinnen und Schüler begleitend oder im Vorfeld zu einer Ausbildung für den Beruf fit zu machen.
Sprachschulung und mehr
Dies geschieht vielfältig, zum Beispiel in der dualen Berufsvorbereitung (AV-dual), durch die Vermittlung eines Hauptschulabschlusses in einem VAB (Vorbereitungsjahr Arbeit – Beruf), auch in der Form von Sprachschulung für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse. Auf diese Weise leisten die Beruflichen Schulen einen wichtigen Beitrag, die Lernlücken, die durch den pandemiebedingten Fernunterricht entstanden sind, aufzuholen. Schulabschlüsse, die in der letzten Zeit auf Grund der Pandemie nicht erreicht wurden, können in den Beruflichen Schulen auf unterschiedlichen Wegen nachgeholt werden.
Berufliche Schulen leisten damit einen zentralen Beitrag zur Integration von Neumigranten und von Geringqualifizierten in das Berufsleben und befähigen damit zur gesellschaftlichen Teilhabe der schulisch Benachteiligten.
Es werden auch interessante Perspektiven für alle Abgänger oder Wechsler von allgemeinbildenden Schulen geboten. An Beruflichen Schulen der beiden Landkreise sind in ein- bis sechsjährigen Vollzeitbildungsgängen alle allgemeinbildenden Abschlüsse erreichbar: Hauptschulabschluss (VABR und AV-dual), Mittlerer Abschluss (zweijährige Berufsfachschule), Fachhochschulreife (Berufskollegs), Abitur (Berufliche Gymnasien oder Berufsoberschulen), etwa am Wirtschaftsgymnasium, an einem Technischen Gymnasium oder an einem Sozialwissenschaftlichen Gymnasium, das von den hauswirtschaftlichen Schulen angeboten wird, ebenso wie das ernährungswissenschaftliche oder das biotechnologische Profil. Insgesamt gibt es zehn verschiedene gymnasiale Profile an den Beruflichen Gymnasien der Region.
Modulare Bildungsgänge
Berufliche Schulen bieten somit modulare Bildungsgänge nach dem Motto: „Kein Abschluss ohne Anschluss“. In beruflichen Vollzeitschulen sind oft „Spätentwickler“ gut untergebracht. Die meisten dieser Schüler sind Absolventen der Werk- oder Realschule und seit 2018 auch der Gemeinschaftsschulen, die einen höheren allgemeinbildenden Bildungsabschluss mit beruflicher Vororientierung anstreben. Durchschnittlich wählen rund 80 Prozent der Realschulabgänger derzeit diesen Weg über ein Berufliches Gymnasium oder ein Berufskolleg, um sich die Option für ein späteres Hochschulstudium offen zu halten.
Rund ein Drittel aller Abiturienten im Land absolvieren die allgemeine Hochschulreife an einem Beruflichen Gymnasium. Und mehr als 50 Prozent der Hochschulzugangsberechtigungen (einschließlich der Fachhochschulreife) werden an den Beruflichen Schulen erworben.
Durch ihr breites Bildungsangebot gewährleisten die Beruflichen Schulen insbesondere für die Absolventen der Realschulen, der Gemeinschafts- und der Werkrealschulen soziale Aufstiegschancen. Den Schülern bietet sich dadurch die Möglichkeit, auch Jahre nach der Weichenstellung durch die Grundschulempfehlung mit einem neuen Anlauf höhere Bildungsabschlüsse zu erreichen. pm