Nersingen-Straß, ein Freitagnachmittag im Fastenmonat. In der Kanuni-Sultan Süleyman-Camii-Moschee steht Hoca Imam Mahmut Ünlütürk an der Gebetskanzel. Vor ihm ein aufgeschlagener Koran.
Mit geschlossenen Augen verliest er das Freitagsgebet. In der Moschee haben zahlreiche Menschen auf dem saphirblauen, weichen Teppichboden Platz genommen und fahren mit dem Zeigefinger die arabischen Zeilen von rechts nach links nach, um aufmerksam zu folgen.
Zurück zu den wesentlichen Dingen
Es ist eine Zeit der Entbehrungen und zeitgleich der Rückkehr zum Wesentlichen. Der heilige Monat im Jahr der Muslime: Ramadan. Imam Mahmut Ünlütürk, einfach als ,,Hoca" angesprochen, stammt aus Trabzon im Nordosten der Türkei an der Schwarzmeerküste. Er trägt den Beinamen Haviz, da er den Koran auswendig verlesen kann. Auch er hat als Kind einmal die arabischen Zeilen in der Koranschule gelernt. „Jeden Tag wiederhole ich dreißig Seiten, um keine Zeile zu vergessen", wie Hoca später erzählen wird, während er auf einer Karte mit dem Finger die Schwarzmeerküste entlangfährt, um zu zeigen, wo seine Heimatstadt liegt. Seit fast vier Jahren ist er inzwischen in Nersingen-Straß und zum Mittelpunkt der Gemeinde geworden.
In seiner freien Zeit paukt er Deutsch. "Ein Volkshochschulkurs.“ Eine Prüfung hat er erst kürzlich abgelegt. Hoca hat nicht nur die Bedeutung, sondern auch den Geschmack von Spätzle kennengelernt und erklärt freudig: „Sehr lecker. In der Türkei gibt es ein ähnliches Gericht: Makarna!" Im türkischen Kulturverein in Nersingen setzt man sich für ein Verständnis der Kulturen ein. „Es gibt den Tag der offenen Moschee", wie Cengiz Altindas, erster Vorsitzender des Vereins, erklärt. „Alle sind herzlich willkommen. Im Gegenzug sind wir auch beim jährlichen Nersinger Dorffest dabei. Klar, dass wir da eine Dönerbude schmeißen“, Cengiz Altindas lächelt. Der Fastenmonat Ramadan bedeutet Verzicht tagsüber auf Nahrungs- und Genussmittel und Rückbesinnung auf das Wesentliche. ,,Ich wünsche mir, dass sich die Menschen unabhängig von ihrem Glauben miteinander versöhnen“, sagt Imam Ünlütürk, der im Spätherbst in seine Heimatstadt am Schwarzen Meer zurückkehren wird. „Egal, ob gläubig oder nicht, jeder bekommt, was er verdient.“ Julia Haaga