Sonderveröffentlichung

MUSWIESE 2024 Muswiese 2024: Der Markt braucht solche Menschen

Patrick Schenk, Dieter Schenk und Regine Weinschenk aus Matzenbach lieben ihren Beruf, doch die Zeiten für fahrende Händler sind hart.

Da ist der Wagen noch zugeklappt: Patrick Schenk, Regine Weinschenk und Dieter Schenk (von links) auf ihrem Anwesen in Matzenbach. In Musdorf fühlen sich alle drei Generationen der Fichtenauer Händler-Familie heimisch. Foto: Sebastian Unbehauen

10.10.2024

Es sind manchmal die kleinen Dinge, die ein Händler-Leben so lebenswert machen. Wenn ein Stammkunde Patrick Schenk auf der Muswiese zuruft: „Schäe, dass d widder doa bischt!“ Oder wenn einer bei Dieter Schenk am Stand vorbeikommt und ihm ungefragt ein Schnitzel mit Kartoffelsalat zur Stärkung hinstellt. Wenn es mal wieder regnet in Musdorf und trotzdem fröhliche, spendable Kundinnen und Kunden an Regine Weinschenk vorbeiflanieren. Ach, dann haben sich all die Mühen – das frühe Aufstehen und späte Heimkommen, die Fahrten und der Aufbau, das Draußensein bei jedem Wetter – einmal mehr gelohnt. 

Patrick Schenk, 36, ist Vizepräsident des Landesverbands Schausteller und Marktkaufleute Baden-Württemberg und Vorsitzender des Bezirks Hohenlohe-Ostalb. Seit seinem 21. Lebensjahr ist er mit dem eigenen Schürzen- und Sockenstand auf den Märkten der Region und darüber hinaus unterwegs. Dieter Schenk, 62, war vor seinem Sohn als Bezirks- und Landesvorsitzender im Verband aktiv, seit über 30 Jahren hat er seinen Sockenstand. Regine Weinschenk, 79, Patricks Oma und Dieters Schwiegermutter, tourt seit etwa 50 Jahren mit Schürzen und Socken durch die Lande. Drei Generationen einer Fichtenauer Händler-Dynastie – zum Gespräch mit der Presse sitzen sie vereint auf dem Bänkle vorm Haus in Matzenbach, voller Vorfreude auf die Muswiese. „Rot am See ist für uns einfach ein Muss. Da kommen die Leute von weither“, sagt Regine Weinschenk. „Dazu tragen übrigens nicht zuletzt die Gemeinde, Organisatorin Beate Meinikheim und Marktmeister Florian Reiß bei – das muss einfach mal gesagt werden“ ergänzt Dieter Schenk. „Ja, die Auswahl an Händlern in Musdorf ist einfach top“, bestätigt Patrick Schenk. Und die Stimmung, die Kauffreude, die Treue der Hohenloher Kunden, all das ist natürlich unbezahlbar.

Dieter Schenk hat sich die Zuversicht bewahrt, dass Krämermärkte auch in Zukunft funktionieren, obwohl die Amazons und Zalandos dieser Welt die Einkaufskultur auf den Kopf gestellt haben. „Weil es einfach Tradition hat“, sagt er. Für viele Kunden spiele das durchaus noch eine Rolle. Die wissen es zu schätzen, dass „ihr“ Händler jedes Jahr am selben Platz steht, dass er sie wiedererkennt und mal ein Späßle mit ihnen macht. Das Menschliche auf dem Jahrmarkt, verbunden mit den Geräuschen, Gerüchen und Genüssen, kann der Computer nicht ersetzen. 

Gleichwohl sind es keine leichten Zeiten für Schausteller und Marktkaufleute. Die Corona-Krise hängt ihnen noch in den Kleidern, sie müssen sich mit Lieferengpässen und hohen Einkaufspreisen herumschlagen, die Transportkosten sind gestiegen, immer neue bürokratische Vorgaben machen ihnen das Leben schwer, Personal bekommt man nicht und Nachwuchs gibt es oft keinen. „Wenn zehn von uns aufhören, sind wir froh, wenn einer nachkommt“, sagt Patrick Schenk.

Aber bitte nicht falsch verstehen: Das alles ändert nichts daran, dass die Schenks lieben, was sie tun. Patrick Schenk ist gelernter Kfz-Systemmechatroniker. „Aber für mich war das nichts, ich musste unter die Leute“, sagt er. Dieter Schenk hat als Süßwarentechniker gearbeitet, gern sogar, aber er entschied sich doch für das selbstbestimmte Leben auf dem Markt. Und Regine Weinschenk denkt auch mit knapp 80 nicht an ein Rentnerinnendasein: „Ich höre nicht auf! Ich höre nur auf, wenn es wirklich nicht mehr geht. Ich habe ja Hilfe.“ Alle drei schwärmen vom familiären Zusammenhalt. Wer könne schon so viel Zeit mit seinen Liebsten verbringen wie sie? Überhaupt: Eigentlich sei die ganze Branche eine einzige groBe Familie. Man kennt sich, man unterstützt sich.

So archaisch ihr Gewerbe auch anmutet, so viel Tradition in ihrem Tun steckt, die Schenks gehen natürlich mit der Zeit - also kann man heute an allen drei Ständen mit Karte zahlen. Und auch das Sortiment hat sich im Lauf der Jahre verändert. Die Kittelschürze eines der Muswiesen-Symbole schlechthin - spielt dabei eine immer geringere Rolle. Es gibt Baden-Württemberg-weit fast gar keine Händler mehr, die die bunt gemusterte Allzweckwaffe für den Kleiderschrank der Nachkriegs-Hausfrau überhaupt noch verkaufen. „Mit den Einnahmen aus Schürzen kann man kein Standgeld mehr bezahlen“, bringt es Regine Weinschenk auf den Punkt. Auch der Arbeitsmantel als männliches Gegenstück, den die alten Bauern und Handwerker noch trugen, ist quasi ausgestorben. Früher habe man seine wertvollen Kleider noch schützen wollen, sagt Patrick Schenk, in der heutigen Wegwerfgesellschaft spiele das keine Rolle mehr.

Als er frisch auf der Muswiese war, hat er noch ganz gut Schürzen verkauft, mittlerweile sind viele Kundinnen gestorben, neue kommen nicht nach. Schade eigentlich, findet Schenk, denn: „So ein Schurz ist bequem und im Sommer schön luftig. Man muss ja nichts drunterziehen.“ Wer weiß, vielleicht erlebt das Teil ja eine Wiederauferstehung, wenn's immer heißer wird.

Und falls nicht, dann werden die Marktleute halt schürzenlos für ihre Kunden da sein. Mit Socken. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Und mit ganz viel Leidenschaft. Sebastian Unbehauen