Zwei Jahrzehnte später sitzt Merkle an seinem Esstisch in einem Mehrfamilienhaus in Senden. Es gibt Kaffee und Kirschkuchen. „Den habe ich bestellt“, sagt der 74-Jährige. Seine Mundwinkel und den markanten Schnurrbart zieht es nach oben, er lacht. Seine Frau Gertrud hat ihn gebacken, auch Tochter Katja ist an diesem Nachmittag spontan zu Besuch. Merkle hat zwei Töchter, drei Enkelinnen, einen Enkel, zwei Urenkel. Doch die große Leidenschaft für den Fußball hat bislang noch keinen in seiner Familie so gepackt wie ihn, der in wenigen Tagen seinen letzten Auftritt als Bezirksvorsitzender haben wird. Am 30. Mai übergibt Merkle sein Amt an seinen Nachfolger Hans-Peter Füller und wird sich nach über einem halben Leben vom Bezirk verabschieden. „Ich blicke dem Tag schon ein bisschen mit Wehmut entgegen“, sagt er. „Aber auch mit einer gewissen Erleichterung, dass es vorbei ist.“
Merkle ist ein gern gesehener Gast auf dem Sportplatz, bei den hiesigen Vereinen. Unaufgeregt, sachlich, sehr gelassen. „Der Manfred war schon immer so“, sagt seine Frau, die nur einmal von einem Ehrenamt nicht begeistert gewesen sei. Als er in Ay, seinem Heimatort, zum Jugendleiter ernannt wurde. Ein kurzes Gespräch vor der Türe bei der Vereinsversammlung – und schon war Merkle zum ersten Mal in Verantwortung. „Da wirst du dann auch Sonntag in der Früh angerufen, weil noch ein Auto fehlt“, sagt er und erinnert sich an die Zeit zwischen 1969 und 1976, als die beiden Töchter noch klein waren. Von Jugendleiter über Vereinschef beim FV Ay, Beisitzer im Sportgericht, Staffelleiter bis hin zum Bezirksvorsitzenden, Ehrenamtsbeauftragten und Bezirksvertreter im Vorstand des Württembergischen Fußballverbands. Merkle, so scheint es, hat kaum einen Job ausgelassen. Er sagt: „Wenn du da nicht schnell genug Nein sagst, kommst du nicht mehr raus.“ Und schmunzelt.
Mit Familie und Beruf war das immer vereinbar. Bevor er sich 2007 in die Altersteilzeit verabschiedete, arbeitete der ausgebildete Industriekaufmann im öffentlichen Dienst. Mit Kollegen, mit denen es auch tagsüber mal möglich war, in Sachen Fußball tätig zu sein. Vor vier Jahren haben Merkle und seine Frau den Heimatort Ay verlassen, seitdem wohnen sie direkt in Senden. Mit elf Jahren kam Manfred Merkle als junger Spieler zum FV Ay, mit dessen erster Mannschaft er bis zur Bezirksliga aufstieg. Seine Position: der rechte Läufer. „Den gab es damals noch“, sagt er. Heute würde man ihn als Mittelfeldspieler bezeichnen, der sich auf der rechten Seite orientiert hat: „Viele Tore habe ich jedenfalls nicht geschossen.“ Dafür war er Spielführer, mehrere Jahre lang. Einer, der seine Rolle auch als Verantwortung abseits des Platzes interpretierte: Der das Gartentürchen nach dem Kneipenbesuch mit der Mannschaft schloss und der am nächsten Morgen pünktlich am Spielfeld stand. Und der schon damals wusste: „Du musst den Schiri auf deine Seite ziehen“. Anstatt die Konfrontation zu suchen.
Und wenn man so will, hat er genauso über viele Jahre hinweg den Bezirksvorsitz interpretiert. Integrierend statt ausschließend – stets auf Harmonie bedacht. „Argumente werden nicht besser, wenn man sie lauter vorträgt“, sagt er. Ruhig verliefen seine sieben Amtsperioden, und sehr unspektakulär.
Ob es denn nicht auch mal Knatsch gab? Nur wenige Situationen fallen ihm auf diese Frage ein. Doch wenn es mal Diskussionen, Vorfälle oder Provokationen gab, verfolgte er eine klare Devise: Statt ein Gespräch aus Emotionen heraus zu führen, ließ er lieber einen Tag verstreichen. Um es ihm und seinem Gegenüber leichter zu machen, die Debatte zu bewältigen.
In seinen Jahren beim Bezirk hat Merkle die Einführung der Amateur-Relegation 1999 begleitet. Die Digitalisierung, die auch seine Arbeit zunehmend erleichterte, sei einer der Meilensteine gewesen, zum Beispiel bei der Erstellung von Spielplänen. Dem demographischen Wandel habe man bis jetzt ordentlich im Bezirk begegnen können, zukünftig könnte das zur größeren Sorge werden. Gespannt blickt er auf die Strukturreform, die im kommenden Jahr die Bezirke neu gliedern soll. Donau/Iller ist davon allerdings weniger stark betroffen als andere Bezirke.
Einen kritischen Blick hat Merkle auf das, was gerade beim Deutschen Fußball-Bund passiert: Präsident Fritz Keller muss nach einem Nazi-Vergleich seinen Hut nehmen. „Das darf dir nicht passieren“, sagt er. Der 74-Jährige habe sich, egal ob am Spielfeldrand oder beim Vereinsfest immer als Repräsentant seines Sportes verstanden. „Das schadet einfach dem gesamten Fußball, also auch den Amateuren.“
Ob bei der Übergabe des Meisterwimpels an Holger Betz, den damaligen Kapitän der Fußballer des SSV Ulm 1846, im Jahr 2005 (Bild 1), der Auslosung des Bezirkspokals (Bild 2), der alljährlichen Verleihung der Torjäger-Trophäen (Bild 3), der Eröffnung des DFB-Stützpunktes am Kuhberg mit dem damaligen Finanzbürgermeister Gunter Czisch (Mitte) und DFB-Koordinator Thomas Sinz (Bild 4): Manfred Merkle war im Fußball und bei den Vereinen in der Region präsent. Das Amt des Vorsitzenden hat er 1999 nach dem Tod von Heinz Kneer (r., Bild 5) übernommen. Fotos: Könneke (3), Kimpfler, Apprich, Kessler
Er sei einer, der sich gerne an der Basis bewege – und einer, der gern unter Menschen ist. Genau das sagte er bereits in einem Interview zu seinem Amtsantritt 1999. Und genau das kann er auch an diesem Nachtmittag, 22 Jahre später, in seinem Wohnzimmer bestätigen. „Mir reicht der Amateurfußball“, sagt Merkle. Ein Abo bei einem Bezahlsender komme ihm nicht in die Wohnung: „Da bin ich altmodisch.“
Nach über zwei Stunden ist der Kuchen gegessen, der Kaffee getrunken. Die Geschichten aber sind lange nicht aus erzählt. Im Dezember ist Manfred Merkle 74 Jahre alt geworden, fast sein ganzes Leben lang hat ihn der Fußball begleitet. Das wird auch nach dem 30. Mai so sein. Angst, vor dem was ihm dann fehlen könnte, hat er nicht. Statt Samstag und Sonntag ist er dann, wenn nach der Pandemie alles wieder seinen Gang geht, nur noch an einem Nachmittag irgendwo in der Region bei einem Fußballspiel anzutreffen: „Aber bevor ich dann zuhause sitze, wenn ich nichts anders zu tun habe, geht’s natürlich auf den Sportplatz.“ Nadine Vogt
"Ich blicke dem Tag schon ein bisschen mit Wehmut entgegen. Aber auch mit Erleichterung, dass es vorbei ist."
"Aber bevor ich dann zuhause sitze, wenn ich nichts anders zu tun habe, geht’s natürlich auf den Sportplatz."
Zeitpunkte
1957
Mitglied beim FV Ay
1963
Fußball-Bundesliga startet in die erste Spielzeit
1969
Jugendleiter beim FV Ay
1974
Deutschland wird Weltmeister im eigenen Land
1984
Beisitzer im Sportgericht
1991
Stellvertretender Bezirksvorsitzender
1999
Einführung der Amateur-Relegation
1999
Kommissarischer Bezirksvorsitzender als Nachfolger von Heinz Kneer
2000
Wahl zum Vorsitzenden des Bezirks Donau/Iller
2005
Verdienstnadel des DFB
2012
Mitglied im Vorstand des WFV
2020
Corona-Pandemie führt zum Abbruch der Amateursaison
2021
Rückzug als Bezirksvorsitzender