Sonderveröffentlichung

Weihnachts- und Neujahrsglückwünsche Süßer die Glocken ...

Weihnachtsmusik tönt vom Kirchturm herab, wenn in Illertissen die Glocken des Carillon erklingen.

Mit geballten Fäusten schlägt man auf die Stokken des Carillons und bringt so die Glocken zum Klingen. Fotos: Heike Viefhaus

31.12.2019

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Von Heike Viefhaus

„Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft ...“ – wobei, letzteres wird in Illertissen rund um die St.Martinskirche wohl kaum der Fall sein, wenn das bekannte Weihnachtslied unüberhörbar aus dem Glockenstuhl im Kirchturm klingt. „Wer spielt denn da?“, mag sich mancher ortsfremde Zuhörer fragen, der in der Adventszeit um 10, 16 oder 20 Uhr dort im Städtchen unterwegs ist. „Seit 2006 haben wir ein Turmglockenspiel, ein sogenanntes Carillon“, erklärt Markus Hubert, Kirchenmusiker an St.Martin. Die Klänge kommen nicht von den Läuteglocken, die für die Schläge der Turmuhr verantwortlich sind. Sondern von 51 aufeinander abgestimmte Bronzeglocken, mit denen man musizieren kann.

Mehr als 200 Melodien

„Dreimal täglich erklingen voll automatisch vorab eingespielte Melodien. Unser Repertoire umfasst insgesamt annähernd 250 Stücke. Geistliches Liedgut, klassische und jazzige Stücke oder auch Schlager und die täglich tönende Bayernhymne sind dabei. Die Auswahl orientiert sich an der Jahreszeit und am Kirchenjahr. In den Sommermonaten veranstalten wir immer auch ein großes Live-Carillon-Konzert mit einem Profimusiker, einem echten Carillonneur.

Einfach ist es nicht, mit einem so gewaltigen Klangkörper schöne Musik zu machen. Das Carillonspiel muss man üben. Dazu setzt sich Markus Hubert an ein Clavion. Vom Aussehen ähnelt es einer Orgel, ebenso wie das Carillon, „nur, dass man hier über die Traktur keine Glocke, sondern ein zartklingendes Metallplättchen anschlägt. Das klingt ungefähr wie ein Xylophon und es schont die Ohren derer, die in der Nachbarschaft zur Kirche leben.“

Musizieren mit Hand und Fuß

Ähnlich wie bei einem Klavier die weißen und schwarzen Tasten, sind beim Carillon die sogenannten Stokken angeordnet, hölzerne Stäbe im Abstand von etwa fünf Zentimetern. Farblich ist da nichts markiert, es ist etwas unübersichtlich. Über stabile Drähte ist je einer mit dem Klöppel in einer Glocke verbunden. „Ein satter weicher Klang ertönt, wenn man aus lockerem Handgelenk mit der Unterkante der Faust die Stokken nach unten schlägt. Der Klöppel trifft den unteren Glockenrand.“ Nicht nur Treffsicherheit innerhalb der zweireihig angeordneten Stokken zeichnen einen versierten Spieler aus. Ähnlich wie bei der Orgel kann er über Pedale die großen, tiefen Glocken ansteuern: „Maximal sechs Glockenklänge schafft man gleichzeitig. Mit gespreizten Händen werden vier Stokken herabgedrückt, zwei Pedale mit den Füßen getreten.“ Koordination, Kraft und Kondition sind dazu nötig. Auch eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber Kälte sollte man haben, wenn es in der kühlen Jahreszeit zum Musizieren in den Kirchturm geht. „Zu den hölzernen Klangschächten im Mauerwerk zieht es schon mal kühl herein, aber die Öffnungen braucht man, der Klang soll sich ja schließlich nach draußen entfalten.“ Im Glockenstuhl selbst überfällt einen die Lautstärke mit Wucht, Publikum ist dort eher fehl am Platz.

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Der Illertissener Kirchenmusiker Markus Hubert an der Kirchenorgel die elektronisch mit dem Carillon verbunden ist.
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Die Übekabine mit Clavion.
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Einblick in den Glockenstuhl und auf die Mechanik, die das Carillon zum Klingen bringt.

„Wer ein Carillon das erste Mal hört, hat oft den Eindruck: Das klingt nach musikalischer Früherziehung – die Töne sitzen etwas schepps! Das hat mit der komplizierten Stimmung einer Glocke an sich und schließlich mit der Abstimmung aller Glocken im Instrument aufeinander zu tun – auch manche Tonarten empfindet man beim Hören unharmonischer als andere. Ein professioneller Carillonneur ist aber so geübt, dass er durch differenzierte Abstufung der Lautstärke den Klangeindruck optimieren kann.“ Beim automatischen Abspielen geht das nicht, „elektromagnetisch aktivierte Hämmerchen schlagen von außen oben an die Glocken an – metallischer, härter ist der Klangeffekt“.

Das Carillon an sich, ist schon ein außergewöhnliches Instrument – lediglich 48 davon gibt es Deutschland, wie man auf der Homepage der Deutschen Glockenspielvereinigung nachlesen kann. Das Instrument der Illertissener St. Martinskirche verfügt seit Ostern 2018 aber noch über eine Besonderheit: „ Man kann es auch über die Kirchenorgel spielen und es gemeinsam mit den Orgelpfeifen erklingen lassen. Per Lautsprecherübertragung tönen die Konzertglocken dann auch im Kirchenraum.“

Kling Glöckchen klingelingeling

Beethovens „Ode an die Freude“, Gershwins „Summertime“ und das Schlaflied „Guten Abend, guten Nacht“ sind nur einige Stücke aus dem großen Melodienschatz des Illertissener Turmglockenspiels. Das Carillon der St. Martinskirche stammt von der weltbekannten Glockengießerei Royal Eijsbouts aus Asten in den Niederlanden. Sponsor ist der Illertissener Unternehmer Josef Kränzle. Um der tönenden Last im Glockenstuhl standzuhalten musste der Kirchturm vor Einbau des Carillons baulich verstärkt werden: 320 kg wiegt die größte Glocke, 5 kg die kleinste. Etwa 2 Tonnen Gesamtgewicht haben alle 51 Glocken zusammen. Mehr Infos dazu online über www.pg-illertissen.de Rubrik Kirchenmusik und www.glockenspieler.de