Heidnischer Hokuspokus oder heilige, heilsame Zeit – viele Geheimnisse ranken sich um die zwölf Nächte zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar. Auch allerlei Aberglaube, Brauchtum und Rituale. In der vorchristlichen Mythenwelt des Winters treiben schaurige Gestalten in der nächtlichen Natur ihr Unwesen. Man selbst zieht sich in sein schützendes Zuhause zurück. Doch in der Fantasie kennt man im unheimlichen Dunkel draußen vor der Tür die furchterregende „Wilde Jagd“. Ein Geisterheer, das hinter verlorenen Seelen her ist, angeführt vom germanischen Göttervater Odin. In Süddeutschland ist es die aus Sagen bekannte Fruchtbarkeitsgöttin Frau Holle. Als Spinnerin des Lebensfadens ist sie verantwortlich für das menschliche Schicksal. Das wilde Heer führt sie an, bevor sie dafür sorgt, dass die Natur wieder erwacht, wenn es aufs Frühjahr zugeht. Frau Perchta, eine vorkeltische Fruchtbarkeitsgöttin, zählt als Anführerin der rasenden Geisterschar zu den unheimlichsten Winterdämonen der Mythologie. Ungehorsame Menschen straft sie in den Zwischennächten mit Albträumen oder, sofern man ihr begegnet, mit martialischen Strafen. Auch im regionalen Brauchtum schlägt sich diese Zeit nieder. So war laut der Volkssage im Schwäbischen Wald das Wäschewaschen und Laken aufhängen vom Heiligen Abend bis zum 6. Januar verboten, weil sich die Geister aus der Dunkelwelt in der aufgehängten Wäsche verfangen konnten.
In der dunklen Zeit zu sich finden
In der Zeit zwischen den Jahren scheint das Tor von realer zur Geisterwelt offen zu sein. Die Zeit scheint stillzustehen. „Das heißt, der Mensch empfindet anders, wenn er in diesen Tagen die Möglichkeit entdeckt, sein Augenmerk mehr auf sein Inneres zu legen“, sagt Birgit Adler, Räucherfachfrau aus Herrlingen. „Um diese dunkle Zeit zu überstehen, um sich zu schützen, um Furcht und Ängste zu besiegen, sind Bräuche und Riten entstanden, die mancher auch heutzutage praktiziert.“
Was belastet, geht in Rauch auf
Zum Beispiel: Räuchern von duftenden Kostbarkeiten. Weihrauch – entweder man liebt oder verabscheut ihn. Birgit Adler ist seit frühester Kindheit fasziniert von diesem Duft. Das heißt, den einen Weihrauchduft gibt es nicht – Weihrauchbäume wachsen zum Beispiel in Indien, Somalia, Ägypten und auf der arabischen Halbinsel. Jede Art produziert ihr eigenes Harz. Räucherrituale, mit denen man sein Zuhause energetisch reinigen oder mit denen man zur Ruhe kommen und zu sich selbst finden kann, haben eine lange Tradition, nicht nur in den Herkunftsländern des Weihrauchs. In den Rauhnächten zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar lebt in vielen Familien dieser alte Brauch wieder auf. Viele Menschen haben das Bedürfnis, in der Zeit zwischen den Jahren die Schnelllebigkeit aus ihrem Alltag herauszunehmen. Mit Düften gelingt das besonders gut. Der Rauch nimmt mit, was belastet und ängstigt, er kann aber auch Wünsche transportieren. Heike Viefhaus
Magische Mythen: Rauhnächte, die Zeit zwischen den Jahren
Schon im Klang des Wortes „Rauhnächte“ liegt Geheimnisvolles. „Zwölfnächte“ wird die Zeit zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar im Volksmund genannt, auch Weihe-, Los- oder Zwischennächte sind weitere Bezeichnungen.
Ihren Ursprung hat diese besondere Zeit zwischen den Jahren nicht nur in Brauchtum und Aberglauben. Sondern auch in einer Umstellung der kalendarischen Zeitbestimmung: Als das Jahr nicht mehr nach Mondphasen, sondern nach dem Lauf der Sonne gemessen wurde. Ein Jahr umfasste statt 354 Tagen nun 365 Tage.
Elf Tage und zwölf Nächte blieben übrig als Zeit außerhalb der gewohnten Ordnung, in der man die Naturgesetze außer Kraft glaubte. Eine Rauhnacht beginnt mit Sonnenuntergang am Vorabend und endet mit dem Morgengrauen. Damit die finsteren Mächte kein Unheil stiften, etablierten sich Gebote und Verbote sowie Riten, um das eigene Schicksal günstig zu beeinflussen. Als Vorzeichen fürs kommende Jahr galten Ereignisse, Träume und Wetterphänomene, die sich in der Rauhnachtszeit abspielten.