Schwäbisch Hall Unicorns: Gänsehaut und Weckrufe
Sonderveröffentlichung

DIE UNICORNS – SAISONRÜCKBLICK Schwäbisch Hall Unicorns: Gänsehaut und Weckrufe

Die Saison der Football-Mannschaft war mit dem Ziel des Finales außergewöhnlich erfolgreich

Die Schwäbisch Hall Unicorns bedanken sich nach dem Finale bei ihren Fans. Foto: Manfred Löffler

17.10.2023

Auch wenn es nun schon öfter gesagt und geschrieben wurde, wird es deshalb nicht falsch: Es war eine außergewöhnliche Saison für die Schwäbisch Hall Unicorns, und auch außergewöhnlich erfolgreich. Deshalb ist es völlig legitim, dass Nina Wengertsmann, Vorsitzende der Unicorns, nach dem verlorenen Endspiel stolz auf alle war, die zu der Finalteilnahme beigetragen haben. „Ich hatte heute den ganzen Tag Gänsehaut“, meinte sie. Ihr Co-Vorsitzender David Seiffer postete auf Instagram, dass er so stolz auf das Team und die Organisation sei. Und auch Quarterback Ian Gehrke meinte auf der Pressekonferenz nach dem GFL Bowl: „Wir haben die Erwartungen bei weitem übertroffen. Das war eine mega Erfahrung.“

Dass Headcoach Christian Rothe zum „Coach des Jahres“ erklärt wurde, sagt viel aus. Denn damit wird den Unicorns auch Respekt gezollt für die Leistung, die sie geschafft haben. Christian Rothe hatte schon zu Beginn seiner Amtszeit das Finale als Ziel genannt. Auch das war ein Zeichen, nämlich dafür, dass die Unicorns trotz der vielen Abgänge von Spielern und Trainern weiterhin Ambitionen haben, und zwar die größtmöglichen.

Mit Ian Gehrke setzten die Unicorns erneut auf einen deutschen Quarterback. Zwar stimmt es, dass seine Statistiken bis zu den Playoffs nicht überragend waren, aber waren diese bei Marco Ehrenfried in dessen erster GFL-Saison als Starting Quarterback, damals noch für die Rhein Neckar Bandits, schon so überragend wie sie es später bei den Unicorns wurden? Nein, waren sie nicht. Ja, die Offense der Unicorns mag in dieser Saison zeitweise unspektakulär ausgesehen haben, mit vielen Läufen und kurzen Pässen. Das war im GFL Bowl auch eine bewusste Taktik, um so möglichst viel Zeit von der Uhr zu nehmen. Hätte Hall kurz vor der Pause seinen langen Drive mit Punkten abgeschlossen, wäre der Sieger vermutlich immer noch Potsdam gewesen, nur wäre das Ergebnis längst nicht so deutlich ausgefallen.

Die Verantwortlichen werden diese Saison analysieren und dann ihre Schlüsse ziehen. Manche Spieler haben schneller einen Schritt nach vorne gemacht, manche benötigen noch etwas Zeit, um diesen dann – so die Hoffnung – zu machen.

Wackeliger Auftakt

Dass diese so schnell in der GFL Fuß fassen würden, war nicht absehbar. Zwar hatten die Coaches schon nach dem Trainingslager in Österreich ein gutes Gefühl, doch beim Auftakt, dem CEFL-Viertelfinale gegen Stockholm, zeigte sich, dass das Gebilde noch sehr wackelig war. Die Unicorns gewannen die Begegnung mit auslaufender Uhr. Vielleicht war sogar diese Begegnung zumindest ein größerer Teil der Initialzündung für eine erfolgreiche Spielzeit. Damals fiel von allen sehr viel Druck ab. Das änderte sich auch nicht durch die deutliche Niederlage im CEFL-Halbfinale gegen Thonon.

Der GFL-Spielplan meinte es nicht besonders gut mit dem neu zusammen gestellten Team: Auftakt gegen Potsdam, dann in Ingolstadt und danach in Braunschweig. Die beiden Nord-Teams erwiesen sich als stärker, auch wenn Hall längere Zeit mithalten konnte. In Ingolstadt taten sich die Unicorns nicht leicht, aber waren siegreich.

Weckruf in Saarbrücken

Dann aber folgten Siege, zum Teil auch deutliche. Aber ebenso auch knappe wie in Kempten (24:21). Im Nachhinein betrachtet aber zeigten diese Begegnungen, dass die Unicorns auf ihrem Weg waren. Den regulären Saisonabschluss verloren sie in Saarbrücken. Christian Rothe nannte diese Niederlage einen „Wake Up Call“, also einen Weckruf. Das korrespondiert mit der Aussage von Tobias Löffler, einem der vier Teamkapitäne, im Interview mit dieser Zeitung, dass nicht alle Trainingseinheiten so gut waren, wie man sich das vorstellte.

Doch in den Playoffs zeigten sich die Unicorns erstaunlich stabil. Gegen die Berlin Rebels setzten sie sich durch aufgrund einer überragenden Defense. Diese zeigte auch im Halbfinale ein fulminantes Spiel beim Sieg gegen Dresden. Die Unicorns waren der Außenseiter in dieser Begegnung, gewannen aber letztlich verdient. Der Schulterschluss mit den Anhängern war da längst vollzogen. Diese hatten ohnehin nicht gezweifelt. Der Dauerkartenverkauf war sogar etwas besser als in der Vorsaison.

Vielleicht wollten diese Zuschauer einfach nur spannendere Spiele stehen. In den Vorjahren hatten die Unicorns die Konkurrenz im Süden nicht nur beherrscht, sondern manchmal regelrecht in den Boden gestampft. Das Team von Ex-Headcoach Jordan Neuman war teilweise zu gut. Deshalb folgte gerade aus sportlichen Gesichtspunkten dessen und weitere Wechsel von Coaches und Spielern in die European League of Football zu Stuttgart Surge. 

Das junge, teilweise unerfahrene Haller Team konnte sich auf die heimische Unterstützung verlassen und spielte sich recht schnell in die Herzen der Zuschauer. So laut wie beim Halbfinale gegen die Dresden Monarchs war es vielleicht noch nie im Optima-Sportpark.

Dass im Finale das beste Team der GFL wartete, wussten die Unicorns. Sie versuchten vieles, aber die Potsdam Royals waren zu stark. Manchmal zeigte sich während der Begegnung auch, dass die Unicorns noch Arbeit vor sich haben, wollen sie wieder Deutschlands Football-Thron erklimmen. So manches Tackle war nicht erfolgreich, nicht nur gegen Ausnahmekönner Jaylon Henderson. Der US-Quarterback dürfte es sich aussuchen können, wo er in der kommenden Saison spielen wird. An Interessenten wird es nicht mangeln. Und die Schwäbisch Hall Unicorns? Sie wissen nach einer langen Saison, wo sie stehen, und das ist immer noch weit oben.

Hartmut Ruffer zur Unicorns-Saison


Besondere Geschichte

Die Saison 2023 war ein Kraftakt für die Schwäbisch Hall Unicorns, mit einem positiven Ausgang. Die Stimmung beim Finale in Essen war vermutlich auch deshalb so gut, weil weder Spieler noch Coaches und auch nicht die Fans damit gerechnet haben, dort mitzuspielen.

Das haben die Unicorns aber. Und das ist keine Selbstverständlichkeit. Um nicht missverstanden zu werden: Das Erreichen des Finales war auch in den Vorjahren keine Selbstverständlichkeit, nur wussten alle beim Blick auf die Coachescrew und den Roster, dass dort geballte Kompetenz und Qualität vertreten waren.

Jetzt hatte man mit Christian Rothe zwar einen durch und durch „unicorns-grünen“ neuen Headcoach, aber dieser musste seine Rolle auch erst finden und vor allem neu definieren, da er im Gegensatz zu Jordan Neuman kein hauptamtlicher Headcoach ist. Rothe selbst bezeichnet seine Coaching-Crew als überragend, und liegt damit alles andere als falsch.

Auf der einen Seite kamen Ehemalige wie Sven Mielke, Bernd Schnurrer oder natürlich auch Siegfried Gehrke zurück in die Coachescrew und halfen mit ihrer Erfahrung. Gerhard Jäger und Florian Günter waren den Unicorns ohnehin treu geblieben. Dann gab es Coaches, die zwar schon Coaching-Erfahrung gesammelt hatten, aber noch nicht auf den Positionen, die sie nun in einem GFL-Team bekleideten wie Felix Brenner oder Mike Freckmann. Doch es funktionierte, nicht nur auf menschlicher Ebene, sondern auch sportlich. Und es kamen einige neue Spieler, die charakterlich und sportlich gut passten.

Die Unicorns verschwanden deshalb nicht in der Versenkung, sondern spielten weiter um die Spitze in der GFL mit. In dieser Hinsicht passt der Satz, den Yannik Baumgärtner nach dem Finale gesagt hat. Er hatte dem Werben des Offensive Coordinators Felix Brenner nach zwei Absagen doch nachgegeben und den Posten des Receiver-Coaches übernommen. „Es hat sich auf jeden Fall gelohnt“, meinte er.

Dass die nationale deutsche Liga qualitativ Einbußen hat hinnehmen müssen aufgrund der Wechsel vieler Spieler und Coaches in die ELF, ist bekannt. Immerhin ist durch die Gründung des Ligaverbunds und durch das neue AFVD-Präsidium Bewegung in die zuvor erstarrten Strukturen der Liga und des Verbands gekommen. Es bleibt für alle, die es mit der GFL halten, noch viel zu tun, um die höchste deutsche Spielklasse weiterhin attraktiv zu halten. Die Unicorns haben mit der Geschichte, die sie in dieser Saison geschrieben haben, zumindest für etwas Aufmerksamkeit in der Footballszene gesorgt. Nun sollte die GFL neue Geschichten schreiben.