Forschungsprojekt „Changing Water Cultures“ (CANALS): „Ein Weiter-So nicht möglich“
Sonderveröffentlichung

Handwerk, Energie, Zukunft (3) Forschungsprojekt „Changing Water Cultures“ (CANALS): „Ein Weiter-So nicht möglich“

Es geht darum, in der Stadt Reutlingen eine gute Anpassung an den Klimawandel zu gestalten, so wie mit dem Projekt „Wasserbrille“

Hochwasser treten auch in Reutlingen und Umgebung immer öfter auf. Ein Uni-Projekt zeigt Handlungsbedarf auf. Foto: Jochen Schmid

28.06.2023

Reutlingen/Tübingen. Seit einigen Jahren sind die Auswirkungen des Klimawandels auch in Deutschland spürbar. So treten Wetterphänomene, die bisher als selten galten, häufiger und intensiver auf. Das gilt auch für Reutlingen. Darauf angesprochen, berichten Menschen in und um Reutlingen lebhaft über ihre Erlebnisse mit Extremwetterereignissen wie den Hagelstürmen von 2013 und 2021 oder den Hochwassersituationen von 2013, 2018, 2019 und 2021. Viele empfinden solche Wettererscheinungen als immer unberechenbarer und damit besorgniserregender.

Daher beschäftgte sich das Forschungsprojekt „Changing Water Cultures“ (CANALS) mit den Fragen: Wie erleben Menschen in Reutlingen den Klimawandel? Wie kann sich die Bürgerschaft gemeinsam auf die Auswirkung des Klimawandels vorbereiten? Wie können geeignete Klimaanpassungsmaßnahmen Betroffene schneller und präziser erreichen?

Durchgeführt wurde das Projekt von Dr. Simon Meisch vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen als transdisziplinäre Kooperation mit der norwegischen Universität Bergen sowie der „Task-Force Klima und Umwelt“ der Stadt Reutlingen und der Stadtentwässerung (SER). „Transdisziplinär“ meint in diesem Fall, dass politische, zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Akteure in den Forschungsprozess einbezogen wurden und diesen mitgestalten konnten, erläutert Projektleiter Meisch.

Durch die „Wasserbrille“

CANALS bestand aus zwei Phasen. In der ersten führte Projektleiter Meisch Interviews mit 43 Personen aus der Reutlinger Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Ziel war es, einen Eindruck zu bekommen, was in Reutlingen bereits passiert. In der zweiten Phase sollte in Workshops nützliches Handlungswissen für Reutlingen mit zufällig ausgewählten, von Extremwetter betroffenen Bürgerinnen und Bürgern geschaffen werden.

Das Projekt widmete sich der Frage der Anpassung an den Klimwandel durch die „Wasserbrille“. Denn künftig wird es durch den Klimawandel vermehrt in kurzen Zeiträumen sehr viel Wasser geben (Starkregen) mit damit verbundenem, kleinräumig wirkendem zu viel Wasser (Hochwasser) oder aber auch zu wenig (Trockenheiten und Dürren) – alles mit erheblichen Auswirkugen auf das öffentliche Leben in Siedlungsbereichen von Städten und Gemeinden.

„Aus vielen Interviews ging hervor, dass angesichts der Klimaänderungen ein Weiter-So nicht mehr möglich ist“, erklärt Meisch. Vielmehr werde der Bedarf gesehen, dass sich die Reutlinger Bürgerschaft expliziter als bisher darüber verständigen sollte, wie sie mit den Folgen des Klimawandels umgehen will, welche Unterstützung sie dabei von städtischen Einrichtungen erwarten darf, und wo sie selbst aktiv werden muss und mit welchen Mitteln.

Diese städtische Gemeinschaftsaufgabe gelte es vor dem Hintergrund globaler Krisen zu bearbeiten: Neben Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel müssen jene zu seiner Verringerung mit Hochdruck weiter vorangetrieben werden. Hinzu kommt die Bewältigung der Folgen weiterer Krisen wie des Ukraine-Kriegs (Energiesicherheit) oder des demografischen Wandels (Fachkräftemangel).

In den Interviews waren vier Herausforderungen für Reutlingen zu identifizieren: eine gute Anpassung an den Klimawandel gestalten, neue Routinen und Netzwerke von Stadt und Zivilgesellschaft aufbauen, zivilgesellschaftliches Engagement aufbauen und stärken sowie passende Wissensformen aufbauen und vermitteln. Sie werden von der Einsicht getragen, dass der Klimawandel ohnehin stattfindet und Reutlingen sich anpassen wird.

Neue Kooperationen

Die Herausforderung besteht laut Meisch darin, den Prozess so zu gestalten, dass er auf eine sozial verträgliche Weise stattfindet. „Dazu bedarf es neuer Kooperationen zwischen der Reutlinger Bürgerschaft mit der Stadt sowie der Schaffung des Wissens, das es braucht, dass diese Klimaanpassung gut gelingen kann.“

Die Beobachtungen aus den Interviews dienten als Ausgangspunkt für Diskussionen in fünf Workshops zwischen Februar und April in Reutlingen. Daran teilgenommen haben etwa 30 zufällig ausgewählte und betroffene Reutlingerinnen und Reutlinger sowie Fachleute für Klimawandelanpassung aus der Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Es galt zu verstehen, wie die Bürgerinnen und Bürger die bisherigen Extremwetter erlebten, was ihnen in solchen Momenten half und was sie sich gewünscht hätten.

Sie erarbeiteten Empfehlungen, was es braucht, um Hochwasser und Starkregen zum Stadtgespräch zu machen, die Rolle von SER und Feuerwehr zu klären, zivilgesellschaftliches Engagement sowie neue Routinen und Netzwerke zwischen Stadt und Bürgerschaft aufzubauen. Die Fachleute diskutierten, wie dies umgesetzt werden kann.

Ergebnisse von CANALS wurden Ende April im Spitalhof öffentlich vorgestellt. Wesentlich sei, wie die Reutlinger Zivilgesellschaft gemeinsam ins Tun kommen kann und relevante Informationen erhält. Dafür gelte es, zielgruppenspezifische Kommunikationskanäle zu stärken – wie etwa niederschwellige Informationen für Mieterinnen und Mieter. Idee war ein „Extremwetterfest“, eine Infoveranstaltung des SER, um Reutlingen extremwetterfest zu machen. Die Task-Force Klima und Umwelt will Möglichkeiten für einen Verein ausloten, der die Bürgerschaft bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt und Kompetenzen bündelt. An der Uni Tübingen werden Lehrmaterialien für Schulen erarbeitet. uni

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