Interview mit Ludger Wendeler: „Das Kfz-Handwerk steht 2023 einigen Herausforderungen gegenüber”
Sonderveröffentlichung

Kraftfahrzeug und Verkehr Interview mit Ludger Wendeler: „Das Kfz-Handwerk steht 2023 einigen Herausforderungen gegenüber”

Ludger Wendeler, Obermeister der Kfz-Innung Göppingen, zieht im Interview eine positive Bilanz für 2022. Auf 2023 blickt er mit Optimismus

Ludger Wendeler, Obermeister der Kfz-Innung Göppingen, blickt trotz der verschiedenen Herausforderungen optimistisch auf das Jahr 2023.

14.01.2023

Herr Wendeler, das vergangene Jahr war vor allem durch negative Schlagzeilen geprägt. Gilt das auch für das Kfz-Handwerk?
Tatsächlich kann ich für 2022 eine positive Bilanz ziehen, auch wenn es bisweilen nicht ganz leicht war und das ein oder andere schwierige Kundengespräch geführt werden musste, zum Beispiel weil es bei der Auslieferung zu Verzögerungen gekommen ist. Es gab im Dezember dafür einen richtigen Endspurt bei den Neuzulassungen. So wurden im Vergleich zum Dezember 2021 bundesweit 38 Prozent mehr Neufahrzeuge zugelassen. Dadurch schlossen die Zahlen 2022 insgesamt im Plus: Bundesweit gab es 2022 1,1 Prozent mehr Neuzulassungen als 2021, im Kreis Göppingen waren es sogar 3,8 Prozent mehr.

Schmälert es nicht den Erfolg, dass 2021 und 2020 vergleichsweise schlechte Jahre waren bedingt durch Corona und die damit verbundene Lieferkettenproblematik?
Leider konnte 2022 nicht an die Vor-Corona-Zahlen anschließen - 2019 wurden noch mehr als 3,5 Millionen Neufahrzeuge zugelassen. Das lag aber nicht an einer mangelnden Nachfrage, sondern nach wie vor an den gestörten Lieferketten und an fehlenden Halbleitern, Chips und anderen Zulieferteilen, die größtenteils aus Asien kommen. So war die Autoindustrie über das ganze Jahr hinweg nicht vollständig lieferfähig und konnte den Bedarf nicht decken.

Woran lag es, dass die Neuzulassungen im Dezember so stark angezogen haben?
Vor allem die Reduzierung der Förderung für E-und Hybridfahrzeuge, die seit dem 1. Januar 2023 gilt, hat eine Rolle gespielt. Damit Kunden noch die volle Förderhöhe beantragen konnten, mussten so viele E- und Hybridfahrzeuge wie möglich ausgeliefert werden. Die Hersteller hatten hier einen enormen Druck.

Achten Sie auf dieses Zeichen.
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Wird die E-Mobilität im Landkreis mittlerweile gut angenommen?
Im letzten Jahr lag der Anteil von E-Fahrzeugen und Hybriden bei den Neuzulassungen bei 48,9 Prozent. Damit hat quasi jedes zweite neu zugelassene Auto einen E-Motor an Bord. 18 Prozent der Fahrzeuge fahren dabei rein elektrisch, rund 31 Prozent sind Hybride. Schon 2021 lag die Elektroquote bei den Neuzulassungen mit 44,4 Prozent sehr hoch. Dass die Zahlen jetzt noch einmal gesteigert werden konnten, macht aus dem Jahr 2022 eine echte Erfolgsgeschichte für die E-Mobilität.

Erwarten Sie, dass sich dieser Erfolg fortsetzt?
Anders als die Politik gehe ich nicht davon aus, dass sich das Thema E-Mobilität schon von alleine trägt. Und da die Förderung für Hybridfahrzeuge - immerhin bis zu 6750 Euro - seit diesem Jahr ganz wegfällt und die Förderung für E-Fahrzeuge auf höchstens 6750 Euro gesenkt wurde, rechne ich eher damit, dass die Neuzulassungen zurückgehen werden. Dazu kommt, dass viele Kunden, die sich für ein Fahrzeug mit E-Motor interessiert haben, alles daran gesetzt haben, noch eines im Jahr 2022 zu erhalten. Auch durch diesen Vorgriffeffekt wird sich die Zahl der Aufträge 2023 weiter reduzieren. Dazu kommt die Unsicherheit, wer in diesem Jahr überhaupt noch von einer Förderung profitieren kann.

Wie meinen Sie das?
Nicht der Bestelltermin ist ausschlaggebend für den Erhalt einer Förderung, sondern der Auslieferungstermin beziehungsweise der Termin der Zulassung. Dies kritisiert die Kfz-Branche bereits seit Längerem, denn unsere Überzeugung ist, dass die Kunden schon beim Bestellzeitpunkt wissen müssen, welche Förderung sie bekommen. Einige Modelle haben eine Lieferzeit von über einem Jahr. Andere Modelle können zwar voraussichtlich noch im letzten Quartal des Jahres ausgeliefert werden, verbindliche Zusagen lassen sich jedoch nicht machen. Wenn sich die Auslieferung bis 2024 verzögert, zum Beispiel weil wichtige Zulieferteile fehlen, hat der Kunde das Nachsehen, weil zum jetzigen Stand keine Förderungen für 2024 geplant sind. Und selbst - wenn die Auslieferung noch in diesem Jahr erfolgen kann, ist zu beachten, dass der Fördertopf gedeckelt ist und sich nicht vorhersagen lässt, ob er erst im Dezember oder bereits im August geleert sein wird.

Wirkt sich das positiv auf den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennermotor aus?
Der Trend scheint gerade tatsächlich in die Richtung zu gehen, dass Verbrenner wieder an Attraktivität gewinnen. Gründe hierfür sind die gesunkenen Preise an den Tankstellen und die niedrigeren Anschaffungskosten im Vergleich zu E-Fahrzeugen. Insgesamt gehe ich allerdings davon aus, dass das Kfz-Handwerk in diesem Jahr einige Herausforderungen zu erwarten hat.

Können Sie das ausführen?
Zwar gibt es aufgrund von Lieferrückständen noch einen gewissen Auftragsbestand, allerdings geht der Auftragseingang seit Mitte 2022 zurück. Die Faktoren sind vielfältig: Der Ukrainekrieg, die Inflation und die Energiekrise sorgen für weniger Kaufkraft und große Unsicherheit und Zurückhaltung bei den Kunden - übrigens sowohl im gewerblichen wie auch im privaten Bereich. Außerdem besteht nach wie vor noch das Lieferkettenproblem, auch wenn sich die Lage langsam entspannt. Hier bestehen aber noch Risiken und es ist nicht abzusehen, wie sich zum Beispiel die Covid-Lage in China oder die Wirtschaft in den nächsten Monaten entwickeln werden.

Gibt es weitere Gründe?
Nicht zuletzt bemerken wir, das Fahrzeuge länger gefahren werden, weil Kunden nicht sicher sind, was sie kaufen sollen: Einerseits sind viele von der E-Mobilität noch nicht ganz überzeugt, andererseits sehen sie den Druck, den die Politik macht. Neukäufe werden deswegen oft lieber noch einmal verschoben. Das wirkt sich wiederum auf den Gebrauchtwagenmarkt aus, da dort weniger Fahrzeuge verfügbar sind.

Das bedeutet, dass die Situation auf dem Gebrauchtwagenmarkt ebenfalls angespannt ist?
Im Gegensatz zu den Neuzulassungen war der Gebrauchtwagenmarkt 2022 tatsächlich rückläufig im Vergleich zu 2021 und zwar um 15,8 Prozent bundesweit und im Landkreis um 15,2 Prozent - also fast deckungsgleich. Grund hierfür war das eingeschränkte Angebot vor allem bei jungen Gebrauchtwagen wie Jahreswagen oder Mietrückläufern, weil 2021 nur wenige Neuwagen ausgeliefert werden konnten. Mittlerweile hat sich die Situation leicht entspannt. Das Preisniveau wird jedoch etwas erhöht bleiben und ganz junge Gebrauchtwagen werden weiter fehlen, weil auch letztes Jahr weniger neue Fahrzeuge ausgeliefert wurden. Ich gehe davon aus, dass die Zahlen auf dem Niveau von 2022 bleiben werden.

„Die Ausbildungszahlen bleiben im Kfz-Handwerk konstant auf hohem Niveau.”
Ludger Wendeler, Obermeister Kfz-Innung Göppingen

Wenn mehr ältere Fahrzeuge auf den Straßen sind, freut sich mit Sicherheit das Servicegeschäft.
Das ist richtig. Wir bemerken, dass einige Reparaturen durchgeführt werden, in die Kunden unter normalen Umständen nicht mehr investiert hätten. Auch die Zahl der Unfallreparaturen ist wieder auf Vor-Corona-Niveau, weil wieder mehr gefahren wird. Für die kommenden Monate ist zu erwarten, dass das Servicegeschäft weiter gut läuft und die Auslastung konstant bleibt. Einzig die Teileverfügbarkeit ist nach wie vor ein Problem, vor allem, wenn sie gebraucht werden, um ein Auto nach einem Unfall schnell wieder flottzukriegen. Wir hoffen, dass sich die Situation entspannt, aber die meisten Teile werden global hergestellt und es gibt immer noch viele Fragezeichen, wie es mit der Entwicklung der Lieferketten weitergeht.

Welche Bedeutung hat das Servicegeschäft für das Kfz-Handwerk?
Das Servicegeschäft ist der Stabilitätsanker für die Fachbetriebe und sichert deren Existenz - es hat also eine herausragende Bedeutung. Aus diesem Grund ist auch der Fachkräftemangel eine große Herausforderung, der sich die Branche stellen muss. Betriebe, die selbst nicht ausbilden, haben große Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Verschärfend kommt hinzu, dass die Technik immer anspruchsvoller wird. Weil immer mehr Elektrik verbaut wird und immer mehr Fahrzeuge mit Elektro-Motor unterwegs sind, werden auch mehr Fachkräfte benötigt, die dafür gut geschult sind. Die Aus- und Weiterbildung und Qualifikation der Mitarbeiter zum Beispiel durch Hochvolt-Lehrgänge sind also sehr wichtig, um für die Zukunft gewappnet zu sein.

Die Qualifikation der Mitarbeiter ist aber nicht die einzige Investition, die Betriebeleisten müssen?
Nein, hinzu kommen natürlich noch Investitionen in neue Systeme, Messgeräte und hochvoltfähige Arbeitsplätze, um auch die wachsende Zahl der E-Fahrzeuge warten und reparieren zu können. Gleichzeitig bringen E-Fahrzeuge im Servicegeschäft weniger Umsatz, weil sie insgesamt wartungs- und reparaturärmer sind - schließlich gibt es weder Getriebe, Auspuff, Ölwechsel und vieles mehr. Letztendlich wird es über kurz oder lang wohl zu einer Konsolidierung kommen, wenn ganz kleine Betriebe diese Herausforderungen nicht mehr stemmen können. Da geht es dem Kfz-Handwerk genauso wie vielen anderen Branchen und Gewerken.

Welchen Rat geben Sie als Obermeister den Betrieben auf den Weg?
Ausbildung ist alles. Denn wer seine Fachkräfte selbst ausbilden kann, ist vom Mangel natürlich weniger stark betroffen. Hier im Landkreis sind die Betriebe diesbezüglich aber gut aufgestellt. Die letzten Prüfungen konnten wieder ganz normal und ohne Corona-Auflagen durchgeführt werden und verliefen erfreulich. Im September 2022 haben außerdem mehr als 70 junge Menschen ihre Ausbildung im Kfz-Handwerk begonnen mehr als in vielen anderen Gewerken. Dass die Ausbildungszahlen in unserer Branche auf einem konstant hohen Niveau bleiben, spricht für die Attraktivität des Autos - ob mit E- oder Verbrennermotor.

Und was wünschen Sie sich von der Politik?
Definitiv mehr Technologieoffenheit. Es ist wichtig, neue Lösungen für die Mobilität zu entwickeln, die Klima und Umwelt schonen. Allerdings sollte keine Technologie vorgegeben werden, um dieses Ziel zu erreichen. Meiner Meinung nach wird seitens der Politik zu einseitig auf die E-Mobilität gesetzt, dabei ist schon jetzt klar, dass Rohstoffe wie Lithium nicht ausreichen, um genügend Batterien herzustellen. Zudem werden Regierungen anderer Weltregionen nicht im gleichen Maße mitziehen. Das bedeutet, dass auch nach 2035 noch Verbrenner ausgeliefert werden. Das Thema E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, sollte aus diesem Grund nicht verdrängt werden.

Welchen Vorteil können E-Fuels bieten?
Wenn sie mithife von erneuerbaren Energien hergestellt werden, sind E-Fuels CO₂-neutral. Neue Fahrzeuge mit entsprechenden Motoren könnten also klimaschonend angetrieben werden. Beim Fahrzeugbestand könnte man E-Fuels beimischen - ähnlich wie beim Kraftstoff E10. So ließe sich auch die Bilanz von älteren Fahrzeugen verbessern. Denn alte Autos werden ja weiterhin genutzt werden: 2030 sollen allein in Deutschland noch etwa 30 Millionen Autos mit Verbrennermotor auf den Straßen sein.

Schwierige Auftragslage, neue Technologien, weniger Förderungen, steigende Kosten und Fachkräftemangel - das neue Jahr scheint insgesamt herausfordernd für das Kfz-Handwerk zu werden. Ist Pessimismus angebracht?
Nein, das denke ich nicht. Zwar stehen noch viele Fragezeichen im Raum, zum Beispiel wie sich die Gesamtwirtschaft, Krieg, Energiekrise und Inflation entwickeln werden, aber ich glaube, dass sich die Stimmung im Frühjahr verbessern wird - sofern keine neuen unerwarteten Herausforderungen auf die Menschen zukommen. So scheint sich die Inflation abzuschwächen und der Arbeitsmarkt ist stabil, das sind gute Nachrichten. Daniela Strohmaier

Zulassungszahlen

976 Neufahrzeuge wurden im Dezember im Landkreis Göppingen zugelassen (November: 749). Davon waren 311 Elektrofahrzeuge (162), 339 Hybridfahrzeuge (274) und davon 208 Plug-in-Hybridautos (150).

1707 Gebrauchtwagen, die im Dezember zugelassen wurden, zählt das Landratsamt Göppingen (November: 1907).