„Ich fühle mich hier wohl”, so eine Bewohnerin im Advita-Haus in Hessental
Sonderveröffentlichung

Ortsportrait Hessental „Ich fühle mich hier wohl”, so eine Bewohnerin im Advita-Haus in Hessental

Senioren Susanne Mayr lebt im Advita-Haus in Hessental. Sie mag dort die Gemeinschaft und die ländliche Umgebung, sieht aber einige Defizite in Bezug auf die Barrierefreiheit des Stadtteils.

Die 82-jährige Susanne Mayr lebt im Advita-Haus in Hessental. Sie sitzt gerne auf ihrem Balkon und liest Zeitung. Foto: Ufuk Arslan

02.09.2022

Seit vier Jahren wohnt Susanne Mayr im Advita-Haus in Hessental, und sie habe es noch keine Stunde bereut, sagt die 82-Jährige. Aber sie macht sich Gedanken darüber, wie seniorenfreundlich der Haller Stadtteil eigentlich ist. Einerseits sind viele wichtige Dinge vor Ort: Lebensmittelläden, Bäckereien, die Verkaufsstelle der Molkerei, „und für mich ganz wichtig sind die Apotheke und die Post”. Auch Ärzte gibt es in Hessental, doch Mayr hat ihre in der Innenstadt. Die Busverbindung dorthin ist gut.

„Man muss hier schon ein Stück gehen, bevor man ins Grüne kommt.”

Andererseits ist die Bushaltestelle Krone vor dem Advita-Haus alles andere als barrierefrei, ,,eine Katastrophe”, sagt Mayr, die beim Aussteigen vorsichtig sein muss. „Da geht es weit runter, und ich muss mich festhalten. Dann ist meine Hand noch drinnen, während ich aussteige." Sicher fühlt sie sich damit nicht.

Auch gibt es an der Haltestelle auf beiden Straßenseiten keine Sitzgelegenheit. ,,In Richtung Stadtmitte wurde jetzt ein Wartehäuschen gebaut. Aber erstens hat das bisher noch keine Bank, und zweitens ist es viel zu weit weg von der Haltestelle. In meinem Alter kann ich nicht mehr im Galopp loslaufen, wenn der Bus kommt.”

Das Areal des Advita-Hauses in Hessental. Susanne Mayr wohnt oben im linken der beiden langen Gebäude. Die Häuser mit grauem Dach wurden nach ihrem Einzug gebaut. Auch die grüne Wiese im oberen Bildteil hat sich längst in eine Baustelle verwandelt. Rechts ist das Gasthaus Krone. Foto: Archiv

Noch schlimmer ist der Bahnhof Hessental: „Ich wäre so gerne mal nach Stuttgart gefahren.” Aber der Zug fährt auf Gleis 2 oder 3 ab, und die Unterführung ohne Fahrstuhl ist für Mayr schwer zu bewältigen. Sie hat eine Gehbehinderung und permanenten Schwindel.

Davon abgesehen geht es Mayr im Advita-Haus sehr gut. Die aktive Seniorin, die 42 Jahre lang in der evangelischen Kreuzäcker-Gemeinde in Schwäbisch Hall Kirchengemeinderätin und von 2001 bis 2009 Vorsitzende der Gesamtkirchengemeinde Schwäbisch Hall war, kümmert sich gerne um ihre Mitbewohner. „Das hat sicher mit meinem beruflichen Hintergrund zu tun”, sagt die gelernte Krankenschwester, die eine Zusatzausbildung in Psychiatrie hat und zuletzt Leiterin der Krankenpflege-Schule am Haller Diak war. „Zudem bin ich ein geduldiger Mensch.”

Mayr ist gerne zur Stelle

Direkt neben ihr wohnt zum Beispiel Elfriede Haas, die früher in Hall ein Pelzgeschäft hatte. Sie braucht mehr Hilfe als das Personal im Haus leisten kann. Susanne Mayr ist gerne zur Stelle, wenn die Nachbarin abends nach ihr ruft. Sie hat einen Schlüssel zu deren Wohnung, kümmert sich um so manche Kleinigkeit. Und sie spielt oft Scrabble mit der Dame, was deren geistige Fähigkeiten immer wieder aufleben lässt.

„Mir fallen die Straßennamen auf. Sie deuten auf den dörflichen Charakter Hessentals hin.”

Auch andere Mitbewohner kommen in den Genuss ihrer Hilfsbereitschaft: Eine Frau, die zurückgezogen lebt, aber gerne Kreuzworträtsel macht, bekommt jeden Tag die entsprechende Seite aus Mayrs „Haller Tagblatt”. Und der Rest der Zeitung geht in die Tagespflege im Haus, damit die Betreuerinnen den Bewohnern daraus vorlesen können.

Susanne Mayr liest sehr gerne Zeitung. Sie hat auch eine überregionale abonniert. Dafür setzt sie sich in ihren Sessel im Zimmer mit Blick über Hessental oder auf den Balkon, oder sie geht ein Stück spazieren und nimmt die Zeitung oder auch ein kleines Buch mit, um auf einer Bank zu lesen. „Ich gehe normalerweise jeden Tag raus.”

Das allerdings muss sie gut planen, um ihre Kräfte nicht übermäßig zu strapazieren: „Man muss hier schon ein Stück gehen, bevor man ins Grüne kommt”, erklärt Mayr. Meist sind die Wege nicht eben. Das macht ihr Schwierigkeiten, weil ihr Gang trotz Stock unsicher ist. „Manchmal fahre ich mit dem Bus nur zwei Stationen weit bis zum Pflegeheim Sonnengarten, um von dort aus zu spazieren. Dann ist der Weg schon ein paar hundert Meter kürzer.” Zudem weiß sie, wo dort auf dem Feld eine Bank steht. Davon gebe es in Hessental zu wenige, meint sie. Zum Beispiel am Tafelberg sollte eine sein.

Auf ihren Spaziergängen nimmt Susanne Mayr vieles wahr, woran andere achtlos vorübergehen: „Mir fallen die Straßennamen auf. Sie deuten auf den dörflichen Charakter Hessentals hin: Schmiedsgasse, Hirtengasse, Wirtsgasse. Dann kommen die Äcker und die Wiesen.” Beispiele sind Kühläcker, Gerstenäcker, Grauwiesenweg. „Und danach kommen die Getreidesorten: Dinkelweg, Emmerweg. Wo das nicht mehr ausreicht, sind die Persönlichkeiten wie Willy-Brandt-Allee. Aber die Erfahrung zeigt, dass diese Straßennamen manchmal keinen Bestand auf Dauer haben. Äcker und Wiesen sind neutraler. Ich finde das hochinteressant.”

Auch sonst sei Hessental trotz der großen Neubaugebiete noch deutlich ländlich geprägt. „Immer wieder tuckert ein Traktor durch die Straßen.” Ihren Wocheneinkauf erledigt Mayr mit Vorliebe auf dem Markt in der Stadtmitte. Dort trifft sie viele Bekannte. Sehr viel muss sie dann nicht kaufen, denn meist nimmt sie das Mittagessen im Advita-Haus wahr. „Ich koche gerne, aber das lange Stehen am Herd fällt mir schwer.”

Mindestens 270 Jahre alt

Ihre kleine Wohnung, die aus zwei früheren Hotelzimmern besteht, ist behaglich und hochwertig eingerichtet. Von einem großen, wertvollen Sekretär mit beeindruckenden Intarsien weiß sie, dass er mindestens 270 Jahre alt ist.

Zudem liebt Mayr an ihrer Wohnung den Fernblick: „Als ich mich über das damals noch im Umbau befindliche Advita-Haus informiert habe, dachte ich eigentlich, dass ich mir diese Idee für später aufbewahren wollte. Aber dann wurde mir klar: Nur jetzt habe ich freie Auswahl, welche Wohnung ich möchte.” Sie hat eine im dritten Stock ausgesucht. So hat sie freien Blick in Richtung Mainhardter und Welzheimer Wald - obwohl inzwischen weitere Gebäude auf dem Gelände entstanden sind. „Die Baustelle war laut und dreckig, aber hochinteressant. Ich habe viel fotografiert.”

Mayr resümiert: „Hessental ist ein Ort, an dem ich gut leben kann, auch wenn einige Dinge mühsam sind. Ich fühle mich hier wohl.” Monika Everling