Stöhnen über bürokratische Fesseln
Sonderveröffentlichung

50 Jahre Zollernalbkreis Stöhnen über bürokratische Fesseln

Bisingens Bürgermeister Roman Waizengger schreibt in einem Gastbeitrag über viele wichtige Themen.

28.11.2023
Roman Waizenegger ist Bürgermeister in Bisingen.
Roman Waizenegger ist Bürgermeister in Bisingen.

Die Gebietsreform in Baden-Württemberg, vor nunmehr 50 Jahren, war für viele Kreiseinwohner ein einschneidendes kommunalpolitisches Ereignis. Als die Pläne der damaligen großen Koalition aus CDU und SPD bekannt wurden, ging ein großer Sturm der Entrüstung durch das ganze „Ländle“. Vielerorts sah man die bisherige Selbstständigkeit in Gefahr. 

Das wesentliche Ziel der Reform war es, die Verwaltungsstrukturen den ständig komplexer werdenden Aufgaben anzupassen und gleichwertige Lebensverhältnissen für alle zu schaffen. Rückblickend kann man festhalten, dass dies im Großen und Ganzen in den unterschiedlichsten Bereichen auch gut gelungen ist. Das Land Baden-Württemberg wurde zum „Musterländle“ und der neu gebildete Zollernalbkreis hat sich seitdem in seiner heutigen Struktur bewährt. 

Der Zollernalbkreis mit seinen 25 Städten und Gemeinden hat in den letzten fünf Jahrzehnten, wie unser Ländle, eine äußerst bemerkenswerte Entwicklung genommen. Dies war und ist den kommunalpolitisch handelnden Personen im Zusammenwirken mit den investitionsfreudigen Unternehmen und der engagierten Bevölkerung zu verdanken. Nicht von ungefähr zählt unser Zollernalbkreis, laut dem jüngsten Prognose-Zukunftsatlas, zu denjenigen Landkreisen in ganz Deutschland mit guten Zukunftschancen.

Eine Krise jagt die andere

Allerdings jagt seit geraumer Zeit eine Krise die nächste: Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, jetzt der grausame Angriff der Hamas auf Israel und das daraus resultierende Leid der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten, die Flüchtlingskrise in Deutschland innerhalb einer Dekade, hohe Energiepreise, Inflation und Zinsanstieg, Stützungspakete und „Sondervermögen“, als nette Umschreibung für die ausufernde Neuverschuldung, und eine stagnierende Wirtschaft mit kriselnder Bauwirtschaft. Das alles hindert und lähmt. Alles miteinander bringt aber auch Gewissheiten ins Wanken. Die Menschen verlieren zusehends den Glauben in die Lösungskompetenz des Staates. 

Die Gründe dafür sind neben der Dauerkrise auch und gerade die staatliche Überregulierung. In Deutschland haben wir ein staatliches Regelwerk, das seinesgleichen sucht. Der gesetzliche Anspruch und die kommunale Wirklichkeit klaffen dabei meist meilenweit auseinander. Allein, weil die notwendigen finanziellen, personellen und infrastrukturellen Ressourcen nicht verfügbar sind. Der größte Bremsklotz heutzutage für gute Zukunftschancen ist und bleibt die ausufernde Bürokratie. Daher geht ein klarer Appell an Europa, Bund und Land: Schenken Sie uns, der kommunalen Ebene, das notwendige Vertrauen. Lockern Sie die bürokratischen Fesseln. Wir werden Sie nicht enttäuschen. 

Zurück zur Politik vor Ort und zu dem, was wir im Zollernalbkreis tun können. Der Strukturwandel ist auch in unserer Region in vollem Gange. Die Schaffung von attraktiven und zukunftsorientierten Arbeitsplätzen für die heranwachsende Generation ist und bleibt daher ein wichtiges, interkommunales Ziel. Deutliches Wachstum verzeichnet die Gesundheitsbranche. Der Zollernalbkreis liegt zwischen zwei bedeutenden Clustern der Gesundheits-/Medizinbranche im Südwesten. Zusammen mit der ständig wachsenden IT-Branche, die sich aus vielen Mittelständlern zusammensetzt, bestehen gute Chancen überregionale und zukunftsträchtige Unternehmen für unseren Kreis zu gewinnen. Gleichzeitig wollen auch unsere prosperierenden Firmen vor Ort expandieren. Einzig, was fehlt, ist die Verfügbarkeit von ausreichend Gewerbeflächen. 

Zudem tun wir gut daran, unsere drei beruflichen wie gewerblichen Schulen weiter zu fördern. Auch die Hochschule Albstadt-Sigmaringen ist gerade im Bereich der Zukunftsbranchen hervorragend aufgestellt und gehört bundesweit zu den Besten. Wir müssen junge Menschen vor Ort ausbilden und vor Ort halten. 

Klinik verschlingt Millionen

Eine große Herausforderung wird auch die hausärztliche Versorgung sein. Hier liegt der Anteil der über 60-jährigen Hausärzte bei sage und schreibe 51 Prozent. Der Landkreis müsste meines Erachtens dieses Thema schon längst aufgreifen und gemeinsam mit den Kommunen gezielt nach Lösungsansätzen suchen. Zu dieser prekären Situation gesellt sich noch der Dauerbrenner rund um das Thema Zollern-Alb-Klinikum. Das jährliche Defizit des Klinikums beträgt im kommenden Jahr rund 14 Millionen Euro. Eine für den Landkreis dauerhaft nicht tragbare Summe. Was kann man hier tun? Ist das angedachte Zentralklinikum auf grüner Wiese wirklich die einzige und sinnvollste Lösung? Gibt es nicht doch einen praktikableren Weg? Diese Fragen lassen sich wohl nur rückwirkend beantworten. Nichtsdestotrotz muss den Entscheidungsträgern eines klar sein: Es geht hier um eine gigantische, mitunter die größte Investition in der Geschichte des Zollernalbkreises. Diese Entscheidung muss wohlüberlegt und gut durchdacht sein. Eine finanzielle Wette können wir uns nicht leisten. 

Ein Zukunftsthema wird auch die Mobilität sein. Wie sieht die „Bewegung“ im ländlichen Raum, wie die Vernetzung mit anderen Regionen aus? Die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb besitzt für den Zollernalbkreis eine zentrale Rolle. Die Elektrifizierung, aber ganz besonders der zweispurige Ausbau ist dabei von entscheidender Bedeutung. Die Absage des Landkreises Rottweil an eine Reaktivierung der Bahnstrecke Balingen-Rottweil schmerzt und zeugt nicht gerade von Weitsicht. Unabhängig davon, müssen auch wir überlegen, wie wir uns innerhalb des Zollernalbkreises in Zukunft fortbewegen. Der Bus und das Fahrrad sind bewährte Alternativen, aber auch die Zukunft? Wir müssen hierbei mehr auf das Individuum und dessen Bedürfnisse achten. Wie wäre es zum Beispiel mit einem kreisweiten Netz an E-Car-Sharing? Hierbei sehe ich auch das Land unter anderem mit zeitgemäßen Fördertöpfen in der Pflicht. 

Eine kurzfristige, wenn auch gewaltige kommunale Herausforderung ist das Thema Asyl und Flüchtlinge. Hierzu wurde in der jüngeren Vergangenheit bereits viel gesagt und noch mehr geschrieben. Zusammenfassend lässt sich die aktuelle Situation wie folgt beschreiben: Der unkontrollierte und irreguläre Zuzug von Asylbewerben gefährdet die Fundamente demokratischen unseres Staates. Um es mit den Worten eines Bundespolitikers zu sagen: „Entweder beenden die Parteien der demokratischen Mitte das Thema irreguläre Migration oder die irreguläre Migration beendet die demokratische Mitte.“

Ansprüche werden größer

Die Ansprüche an uns Kommunen werden größer und die Aufgaben komplexer. Um den aktuellen wie künftigen Herausforderungen an eine nachhaltige Entwicklung wie zum Beispiel demografischer Wandel, Wohnen und Innenentwicklung, Arbeit und Wirtschaft, Mobilität und Verkehr, aber auch Klimawandel und Digitalisierung gerecht zu werden, bedarf es der Mithilfe aller. Was in 50 Jahren ist, vermag niemand zu sagen. Eines dabei ist aber entscheidend, dass wir die Herausforderungen gemeinsam - im Sinne unserer Kommunen und den vor Ort lebenden Menschen - annehmen und angehen.

Zwei Generationen in der Verantwortung

Roman Waizenegger ist seit 2014 Bürgermeister der Gemeinde Bisingen und sitzt seit der Kommunalwahl 2009 im Kreistag des Zollernalbkreises. Er ist Diplom-Verwaltungswirt und studierter Politikwissenschaftler. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Neben dem Wandern zählt die Geschichte zu seinen Hobbys.

Berthold Waizenegger war 34 Jahre (1971-2005) Bürgermeister von Schömberg und Schörzingen. Er gehörte dem ersten Kreistag des neu gebildeten Zollernalbkreises bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 2009 an. Er ist der Vater von Roman Waizenegger.