Der Verband hatte es angekündigt: Er wollte vieles besser machen beim ersten Finale unter der neuen Führung um Präsident Fuad Merdanovic. Mehr Fannähe, mehr Respekt vor den Teams, mehr Football is Family. Glaubt man den Stimmen der Beteiligten, dann ist vieles gelungen. Das Stadion an der Hafenstraße in Essen war eine gute Wahl als Ort des deutschen Endspiels und auch das Wetter spielte größtenteils mit.
Hatte man beim German Bowl in Frankfurt im vergangenen Jahr das Gefühl, dass gar nichts um das Spiel herum gemacht wurde, gab es diesmal schon Stunden vor dem Kickoff eine Party vor dem Stadion, die auch von vielen Fans genutzt wurde. 9516 Zuschauer waren dann Zeuge des GFL Bowls. Damit haben die Verantwortlichen die Zahl von 10 000 Zuschauern zwar nicht ganz erreicht, dafür aber erschien die Zahl realistisch. In Frankfurt sollen es 2022 insgesamt 9637 gewesen sein. Dazu meinte Potsdams Headcoach Michael Vogt auf der Pressekonferenz, dass er gehört habe, dass diese Zahl „etwas geschummelt“ gewesen sei. Niemand widersprach ihm. In Essen war die Gegengerade bis auf einen kleinen Teil ganz rechts außen komplett besetzt, die Haupttribüne wies zwar ein paar Lücken auf, war aber auch ordentlich gefüllt. So kam auch schnell eine gute Stimmung auf. Unicorns-Headcoach Christian Rothe zog ein positives Fazit: Das Stadion in Frankfurt sei überdimensioniert gewesen. In Essen dagegen seien die Wege sehr kurz, was sehr hilfreich sei. Alle hätten sich extrem bemüht, die Wertschätzung der Finalisten habe man deutlich gespürt. Sein Potsdamer Pendant Michael Vogt lobte zudem, dass sich nicht mehr die Vereine binnen kürzester Zeit nach dem Halbfinale um Hotels, „die aufgrund der Kürze der Zeit schweineteuer sind“ kümmern müssen, sondern dass dies vom Verband weit im Vorfeld organisiert wird. So hat Essen viel Lob bekommen. Ob es im kommenden Jahr erneut das Finale beherbergt, ist noch nicht bekannt. Pluspunkte haben die Stadt und das Stadion auf jeden Fall gesammelt.
Erneut waren die Fans der Schwäbisch Hall Unicorns deutlich in der Überzahl, auch wenn längst nicht alle, die auf der Gegengerade saßen, aus Hall kamen. Aber sie sympathisierten mit dem Süd-Meister. Als die Unicorns einliefen, machte die Gegengerade enorm viel Lärm. Das machte Eindruck. Exemplarisch dafür steht Sven Mielke, Coach der Defensive Line. Er ließ seinen Blick über die Gegengerade schweifen. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. Er nickte etwas mit dem Kopf, als wollte er sagen: Ja, das passt! Die Fans bewiesen auch ein gutes Gespür, als sie nach Spielende die Unicorns minutenlang feierten.
Das fiel auch dem überragenden Akteur des Endspiels auf. Jaylon Henderson, Quarterback der Potsdam Royals, erwähnte die Unicorns-Fans. Diese seien „amazing“, also toll gewesen. Für den US-Amerikaner war es bereits das zweite Endspiel in diesem Jahr. Am 3. Januar bestritt er mit Panasonic Impulse den Rice Bowl, das Endspiel der japanischen Football-Meisterschaft. Dieses wird traditionell am 3. Januar gespielt. Dort spielte Henderson vor knapp 40 000 Zuschauern, doch diese seien nicht so laut gewesen wie die Fans beim GFL Bowl.
Ein Finale ist auch so etwas wie ein Familientreffen. So liefen sich eine halbe Stunde vor Kickoff in den Katakomben des Stadions zufällig Ex-Unicorn Nate Robitaille, der vor wenigen Wochen mit Rhein Fire das Endspiel der ELF gewann, und Unicorns-Teamarzt Klaus Böhme über den Weg. Die Freude des Wiedersehens war beiden anzumerken.
Ein weiterer ehemaliger Haller Spieler war in Essen und wurde auch geehrt: Alexander Haupert führte Hall 2021 als Quarterback ins Endspiel, zog sich dort einen Schlüsselbeinbruch zu. In Essen wurde er als Quarterback der deutschen Flag-Football-Nationalmannschaft geehrt. Deutschland gewann bei der Europameisterschaft Gold. Das Gefühl sei schon „ziemlich sexy“, bekannte Haupert mit einem Lachen. Gefragt, was der größte Unterschied zwischen Flag Football und Tackle Football sei, antworte Haupert entwaffnend. „Beim Flag Football tut einem einen Tag nach dem Spiel nicht alles weh.“ Flag Football dürfte in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen, schließlich ist es 2028 bei den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles erstmals dabei.
Das Stadion an der Hafenstraße wurde 2012 gebaut. Es ist Nachfolger des traditionsreichen Georg-Melches-Stadion, das unmittelbar neben dem Neubau stand. Heute sind dort die Parkplätze für die VIPs. Einer von vier Flutlichtmasten steht heute noch und erinnert an die ehemalige Spielstätte des Fußballtraditionsclubs Rot-Weiss Essen. Im neuen Stadion ist das Flutlicht im Dach integriert. Auch das Denkmal des „Helden von Bern“, Helmut Rahn, das vor dem Georg-Melches-Stadion stand, hat vor dem neuen Stadion eine neue Heimat gefunden.
Wer nicht live im Stadion war, konnte den GFL Bowl im Free-TV auf Sport1 verfolgen. Auch das stellt eine Verbesserung zum Vorjahr dar, als es nur einen Livestream gab. Diesmal gab es eine professionelle Produktion, es waren auch deutlich mehr Kameras im Einsatz. Während des Spiels gab es sogar Interviews aus den Teamzonen. So wurde beispielsweise bei den Unicorns noch während des Spiels Jonas Lohmann interviewt. Kritikpunkt allerdings war, dass die TV-Übertragung sehr bald nach Spielende beendet wurde, die Siegerehrung gab es nicht mehr zu sehen, dafür Darts. Dennoch: Zumindest beim Finale hat sich die GFL also einem größeren Publikum präsentieren können, war doch der GFL Bowl das einzige Spiel der gesamten Saison, das im frei empfangbaren Fernsehen lief. Alle anderen Spiele werden bei sportdeutschland.tv gestreamt und das zudem gegen Bezahlung. Lediglich eine Konferenz pro Spieltag ist ohne Bezahlung zu sehen. Viele werden diese Spiele nicht verfolgt haben, dafür ist sportdeutschland.tv trotz der enormen Bandbreite des Angebots noch zu sehr ein Nischenprodukt.
Ein großer Kritikpunkt im vergangenen Jahr war die lieblos wirkende Siegerehrung. Diesmal war schon vor dem Spiel eine Bühne aufgebaut, die beispielsweise für die Vorstellung der Flag-Nationalteams genutzt wurde. Fünf Minuten vor dem Ende der Partie begannen die Vorbereitungen der Siegerehrung, die diesmal ihren Namen auch verdiente. Es gab einen Banner und reichlich Feuerwerk. Dieses war sogar zu einer Musik choreographiert.
Der Spielball wurde vom Harley-Club Rhein-Ruhr ins Stadion gebracht. Die Motorräder machten jede Menge Lärm. Ein wenig stereotyp war die Besetzung: sonnenbebrillte Rider und als Beifahrerinnen spärlich bekleidete Cheerleader. Den meisten Zuschauern war das egal, sie bewunderten die Maschinen.
Siegfried Gehrke als „Mr. Unicorns“ zu bezeichnen, ist keine Übertreibung. Er war einer der Gründungsmitglieder der Unicorns und seinem Wirken ist es zu verdanken, dass die Unicorns jetzt dort stehen, wo sie sind, nämlich an der nationalen Spitze. Der langjährige (26 Jahre) Headcoach ist in dieser Saison für die Special Teams der Unicorns verantwortlich. Auszeichnungen hat er schon viele erhalten, jetzt ist er auch ganz offiziell Mitglied in der Hall of Fame des deutschen Footballs. Gemeinsam mit Jan Stecker, Max von Garnier, Shuan Fatah und Peter Springwald wurde „Sigi“, wie ihn alle nennen, in die Ruhmeshalle aufgenommen.
Auch wer das Endspiel aufgrund anderer Verpflichtungen nicht live sehen konnte, zeigte seine Verbundenheit mit den Haller Footballern. Dazu zählte beispielsweise Peter Klink, Erster Bürgermeister der Stadt Hall. Während Oberbürgermeister Daniel Bullinger in Essen war, eröffnete Peter Klink die Lange Kunstnacht in Schwäbisch Hall – und hatte dabei einen Schal der Unicorns in der Hand.
Das kommt auch nicht häufig vor: Nach Ende der Pressekonferenz teilt ein Verantwortlicher der Potsdam Royals mit, dass das Team mit seinen Fans und allen, die dabei sein wollen, gemeinsam feiert. Es seien alle eingeladen in die Dampfe. Dabei handelt es sich um ein Brauhaus im ältesten Stadtteil Essens, in Borbeck. Wie heftig die Feier wurde, ist nicht bekannt, allerdings hatte sich Quarterback Jaylon Henderson schon im Vorhinein bei seinen Eltern dafür entschuldigt, dass er den Titelgewinn auf „deutsche Art“, also mit „sehr viel Bier“, feiern werde. Hartmut Ruffer