Vorgaben herunterstufen
Sonderveröffentlichung

Fachleute für alle Fälle Vorgaben herunterstufen

Bauhandwerk: Verbände der Bau- und Immobilienbranche fordern Abstriche bei den Baustandards und setzen im Gegenzug auf einen verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien.

Durch den Einsatz regenerativer Energien könnten die Standards bei der energetischen Sanierung nach Ansicht der Verbände der Bauund Immobilienwirtschaft gesenkt werden. Foto: ©AlyoshinE/shutterstock.com

22.02.2022

Ohne alternative Heizung, bessere Dämmung und neue Fenster in Tausenden Wohnhäusern sind Deutschlands Klimaschutzziele kaum zu erreichen. Doch die nötigen Sanierungen werden einer Studie zufolge bis 2045 mehrere Billionen Euro kosten. Die Wohnungs- und Immobilienbranche sieht Eigentümer völlig überfordert. Die Politik solle ihre Anforderungen herunterschrauben und den Hausbesitzern mehr unter die Arme greifen, forderten mehrere Verbände dieser Tage. Klimaneutral könne man auch mit mittleren Standards werden, wenn man beim Heizen und Strom auf erneuerbare Energien umstelle.„Immer höherer Standards überfordern sowohl Bauherren als auch Mieter finanziell und bringen nicht den gewünschten Klima-Effekt“, sagte der Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW, Axel Gedaschko. Er warnte vor massiven sozialen Verwerfungen. Andreas Ibel vom Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen sprach von einem „Spagat zwischen Bezahlbarkeit des Wohnens und Energieeffizienz“.

Dabei bezweifeln die Verbände, ob höhere energetische Anforderungen auch tatsächlich mehr zum Klimaschutz beitragen. „Abstriche bei der Energieeffizienz von Wohnhäusern zu machen, bringt am Ende mehr Klimaschutz“, sagte Katharina Metzger, die Präsidentin des Bundesverbands Baustoff-Fachhandel. Denn nur so seien Sanierungen vor allem bei den Altbauten überhaupt machbar. Außerdem drohten Mieterhöhungen: Würde man ältere Gebäude bis auf den höchsten Standard sanieren, könnten „die Mieten ins Unerträgliche steigen“, warnte die Gewerkschaft IG Bau.

Einer Untersuchung des Kieler Bau-Beratungsinstituts Arge für das Verbändebündnis Wohnungsbau zufolge werden bereits jetzt jährlich rund 50 Milliarden Euro in energetische Sanierungen investiert. Stiegen Modernisierungsrate und Anforderungen wie politisch gefordert an, werde sich diese Summe schnell verdreioder vervierfachen.

Die Studienautoren schätzen die Kosten für die Sanierung auf bis zu 150 Milliarden Euro im Jahr. Bis 2045 – dem Jahr, in dem Deutschland klimaneutral sein will – wären das 3,6 Billionen Euro.

Ein bestehendes Ein- oder Zweifamilienhaus auf das Niveau eines Effizienzhaus 115 zu bringen, kostet laut Studie zwischen 660 und 1070 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Ein Effizienzhaus 40 sei noch einmal mindestens 50 Prozent teurer, in der Spitze knapp 1600 Euro pro Quadratmeter. Effizienzhaus 40 bedeutet, dass ein Gebäude nur 40 Prozent der Energie eines Standard-Neubaus verbraucht.

Nach Ansicht des Verbändebündnisses aus Immobilienunternehmen, Baubranche, Gewerkschaft und Mieterbund sollten die politischen Vorgaben runtergestuft werden. Die Klimaziele können nach Einschätzung der Verbände auch erreicht werden, wenn man saubere, klimaneutrale Energie nutze.

Und: Ohne Förderung sehen Experten das Ziel der Ampel-Regierung, im Jahr 400 000 neue Wohnungen zu bauen, klar in Gefahr. Unter den richtigen Bedingungen ist es aus Sicht des Verbändebündnisses aber durchaus erreichbar. „Das Potenzial das allein der Umbau bestehender Gebäude bietet, liegt bei über 4,3 Millionen neuen Wohnungen“, sagte Arge-Institutsleiter Dietmar Walberg.

Rund 1,9 Millionen Wohnungen könnten allein durch den Umbau von Büros entstehen, die durch mehr Homeoffice nicht mehr gebraucht würden. Das sei zudem vergleichsweise günstig: Der Umbau von Büros koste pro Quadratmeter Wohnfläche knapp 1300 Euro - ein Neubau mehr als 3400 Euro. Die Aufstockung von Altbauten aus der Nachkriegszeit könne zudem rund 1,5 Millionen neue Wohnungen bringen. dpa