Interview mit Dr. Hamideh Mohagheghi, Sprecherin des „Rates Der Religionen“, Hannover, und Vorstandvorsitzende der „Dr. Buhmann Stiftung für Interreligiöse Verständigung“.
Wie kann es sein, dass die Erzählung der Opferung im Koran und der Bibel parallel existiert?
Dr. Hamideh Mohagheghi: Der Koran nimmt vieles auf, was zuvor schon mitgeteilt wurde. Geschichten etwa, die in der Bibel bereits bekannt waren. Im Koran wird nicht gesagt, dass Gott Abraham befohlen hat, seinen Sohn zu opfern. Aus der Sure 37 geht hervor, dass Abraham seinem Sohn sagt, dass er im Traum gesehen habe, er solle ihn opfern. Deshalb fragt er ihn, wie er dazu steht. Sein Sohn entgegnet: „Tue, was dir befohlen ist. Du wirst mich geduldig finden.“ Der Koran geht nicht auf die Einzelheiten ein. Geografische Angaben und Genealogie spielen im Koran kaum eine Rolle.
Mohammed führt während seiner ersten Pilgerreise nach Mekka das Opferfest ein und bildet die Grundlage für das größte Fest im Islam, vergleichbar mit Weihnachten im Christentum. Woher weiß er, dass er nach Mekka pilgern soll?
Mekka war damals schon ein Pilgerort. Die Muslime hatten zuvor Richtung Jerusalem gebetet, erst nach der Auswanderung nach Medina wurde die Gebetsrichtung geändert.
Wann fand die erste Pilgerreise nach Mekka statt?
627 oder 628. Nach seiner letzten Pilgerreise hielt Mohammed dann eine Abschiedspredigt auf dem Weg nach Medina.
Worum geht es darin?
Die Predigt hat viele ethische Komponenten. Er hat darauf hingewiesen, dass man zusammenhalten soll. Es gab damals Konflikte und Unstimmigkeiten, da Mohammed die sozialen Ungerechtigkeiten der Machthaber in Mekka angeprangert und sich dafür eingesetzt hatte, dass die Schwachen in die Gesellschaft miteinbezogen werden.
Am Vorabend des Opferfests pilgern viele auf den Berg Arafat nahe Mekka, um stundenlang im Gebet zu verweilen. Was wird dort gebetet?
Bittgebete, Gebete zur Sündenvergebung, aber auch ganz alltägliche Gebete. Abhängig von den unterschiedlichen Traditionen.
Wie ist das Gefühl an einem Pilgerort wie Mekka?
Viele Menschen kommen mit ihren Hoffnungen und Sehnsüchten an einen Pilgerort. Dieses Gefühl der Verbundenheit der Menschen an einem Ort, an dem man sich Gott sehr nahe fühlt, kann nicht mit Worten beschrieben werden kann.
Auch im Christlichen und Jüdischen existiert die Erzählung. Wie gehen die einzelnen Religionen damit um?
Ein Gott, der einem Vater sagt, er solle seinen Sohn opfern, erscheint vielen als verstörende Erzählung. Entscheidend ist doch, dass die Opferung nicht zustande kam. Man sollte außerdem wissen, in welcher Zeit diese Geschichte entstanden ist. Menschenopfer für Gott, beziehungsweise Götter, war damals eine verbreitete Tradition. Es kann sein, dass durch diese Erzählung deutlich gemacht werden soll, dass Gott Menschenopfer nicht will!
Vom Familienältesten wird ein Tieropfer erwartet ...
In Mekka sind riesige Kühlhäuser. Wenn drei Millionen Menschen ein Tier opfern, geht das nicht anders. Die Tiere werden in der Regel sofort bearbeitet und das Fleisch wird eingefroren und in ärmere Länder gespendet. Es gibt allerdings immer mehr Muslime, die statt eines Tieropfers für eine Wohltätigkeit spenden.
Worin sind die Gemeinsamkeiten der einzelnen Religionen?
Nach islamischem Verständnis ist Gott der Schöpfer und Erhalter der Schöpfung. Er hat sich im Laufe der Zeit immer wieder offenbart und Menschen den Weg des Lebens gezeigt. Ob im Buddhismus, im Christentum, im Hinduismus oder im Judentum: Der Kern der Religionen ist sehr ähnlich. Es geht um das Verhältnis zu sich, zu anderen Menschen und Geschöpfen und zur Schöpfung insgesamt. Um die Verantwortung, die der Mensch hat. Dieser muss er im alltäglichen Leben gerecht werden. Viele Ähnlichkeiten also, lediglich die Wege sind anders, weil sie aus verschiedenen Traditionen heraus entstanden sind.
Wie können die Religionen miteinander in Kontakt treten?
Ob Weihnachten oder Opferfest, es ist gut, wenn man sich trifft und sich ein schönes Fest wünscht. Das ist in den letzten Jahren zur Normalität geworden. Die Zeiten, die für die anderen wichtig sind, wahrzunehmen und sich daran zu beteiligen, ist ein Weg. Mittlerweile gibt es einige Projekte und Bemühungen, um sich gemeinsam für den Frieden einzusetzen. Auch interreligiöse Bildung gewinnt immer mehr an Bedeutung. Julia Haaga