Sonntagabend, 22 Uhr:
Meine Bereitschaft in der Notfallseelsorge beginnt. Bis Mittwoch 22 Uhr werde ich mit meiner Kollegin die psychosoziale Notfallversorgung für die Region sicherstellen. Der Melder ist an, wir haben uns abgesprochen, wer die Leitstelle kontaktiert und sind gespannt, was uns erwartet. Die Wochenendbereitschaft war außergewöhnlich ruhig – 0 Einsätze. Das ist gut – es ist gut, wenn wir nicht gebraucht werden!
Montag 4.24 Uhr:
Alarmierung in den südlichen Alb-Donau-Kreis zu einer laufenden Reanimation eines 64-Jährigen. Die Fahrzeit beträgt 20 Minuten und ich treffe zeitgleich mit meiner Kollegin ein. Kurz nach unserem Eintreffen beschließt die Notärztin die Reanimation zu beenden. Gemeinsam mit ihr gehen wir in die Küche zur Ehefrau des Verstorbenen, die dort mit einer Nachbarin wartet. Dreieinhalb Stunden werden wir die Ehefrau begleiten. Später kommt die Tochter mit ihrem Ehemann dazu und wir können gehen. Einen richtigen Moment unsere Einsätze zu beenden gibt es nicht – es fühlt sich aber irgendwann „richtig“ an. Bei einem Kaffee beim Bäcker reflektieren wir den Einsatz und es ist 8.30 Uhr, als ich heimkomme. Heute arbeite ich im Homeoffice – toll, dass mein Arbeitgeber mir das ermöglicht und auch mein Ehrenamt unterstützt!
Montag 12.20 Uhr:
Der nächste Einsatz. Wir wurden automatisiert mitalarmiert – die Leitstelle hat noch keine Informationen für uns. Auf der Anfahrt erhalten wir Rückmeldung vom Leitstellendisponent: Eine bekannte Patientin mit psychischer Erkrankung. Sie befindet sich auf dem Weg in die Psychiatrie. Wir brechen ab. Auf dem Rückweg fahre ich mit dem Einsatzfahrzeug – einem VW-Bus mit dezenter Aufschrift – an die Tankstelle. Dort werde ich über die Zapfsäulen hinweg angesprochen: „Toll, was ihr da macht! Ich könnte das nicht. Danke!“ Das tut gut. Wir machen das, was wir machen, nicht für Anerkennung und wir erwarten auch kein Danke. Manchmal tut es aber doch gut. Zurück daheim. Die verkürzte Nacht macht sich bemerkbar. Ich mache mich an die Einsatzprotokolle – die letzte Maßnahme bevor die Einsätze abgeschlossen werden. Die Nacht bleibt ruhig, der kommende Tag auch. Dennoch behält man den Melder immer im Blick, ist gefühlt auf dem Sprung.
Dienstag 19.24 Uhr:
Alarmierung, „Person unter Schienenfahrzeug“. Es geht in den östlichen Alb-Donau-Kreis. Ein besonderer Einsatz mit mehreren Herausforderungen. Der Lokführer, Fahrgäste, Augenzeugen – und eventuell Angehörige? Wir bereiten uns darauf vor, dass wir hier zu zweit nicht ausreichend sein werden und ggf. Kräfte nachalarmiert werden. Als wir ankommen, ist die Nacht angebrochen. Wir sehen überall Blaulichter, ein ausgeleuchteter Schienenabschnitt – der Triebwagen steht einen Kilometer weiter im Wald. Ein Feuerwehrkamerad begleitet uns durch Gestrüpp und Gleisbett. Dort angekommen laufen wir durch die Abteile zum Lokführer. Die Fahrgäste scheinen ruhig – einer fragt, wann es endlich weiter geht. Der Lokführer wirkt gefasst. Wir erfahren, dass er sich gar nicht sicher ist, was er erfasst hat. Er hat nichts gesehen, nur gehört und gespürt. Ich bleibe bei ihm. Er erzählt mir von seinem Beruf und was er schon alles erlebt hat. Nach 45 Minuten wird der Einsatz beendet. Es wurde weder auf dem Gleisbett etwas gefunden, noch waren am Triebwagen Spuren. War es ein Ast? Ein Tier? Egal – wir sind froh und machen uns auf den Weg nach Hause.
21.25 Uhr:
Das Ortsschild meiner Heimatstadt schon vor Augen geht der Melder wieder. Es geht nach Ulm ins Polizeirevier Mitte. Ein kurzer Anruf zu Hause „ich komme doch nicht heim“ und dann bei meiner Kollegin. Bei der Adresse Polizeirevier Ulm-Mitte wissen wir meist, was kommt. Wir werden die Polizei bei der Überbringung einer Todesnachricht unterstützen. Wir verabreden uns gleich in der Nähe der Wohnadresse und treffen uns mit der Polizei. Die Stimmung ist nicht in Worte zu fassen. Man kennt sich aus vergangenen Einsätzen, das ist manchmal eine Stütze. In der Nähe Fulda ist ein 38-jähriger Mann mit dem Pkw tödlich verunglückt. Wir gehen zu der Ehefrau – als die Polizeibeamtin sagt, dass es einen 6-jährigen Sohn gibt, schauen wir uns stumm an. Kurz darauf stehen wir vor der Haustüre der Familie, wohlwissend, dass mit dem Klingeln in diesem Haus nichts mehr sein wird wie davor. Der Einsatz wird uns fordern, nicht überfordern – sondern herausfordern. Gegen 1.30 Uhr melde ich uns bei der Leitstelle ab und gehe ins Büro. Schlafen werde ich noch nicht können – so entscheide ich mich dafür, das Protokoll zu schreiben. Der nächste Morgen beginnt ganz normal bis alle aufgestanden, angezogen und auf dem Schulbus sind – ein schneller Kaffee mit der Ehefrau und ab ins Büro. Die täglichen Strukturen sind für mich wichtig nach so einer Nacht. Ich rufe meine Kollegin an. Es ist gut, wichtig und professionell, nochmal über den Einsatz zu reden.
Mittwoch 22 Uhr:
Meine 72-Stunden-Bereitschaft geht zu Ende. Um 22.12 Uhr geht der Melder, aber nicht mehr für mich – die Folgebereitschaft hat übernommen. Ich stelle den Melder um und erhalte nur noch Hintergrundalarmierungen. Zufrieden und ehrlicherweise auch ein wenig geschafft sortiere ich meine Eindrücke. Es ist mein Ehrenamt und es passt zu mir. Ich kann mich mit meinen Kompetenzen einbringen. Ich bin froh, dass ich nur 3 bis 4 Mal im Quartal Bereitschaft habe. Es ist eine fordernde Zeit – nicht nur für mich, auch für mein Umfeld.
Redaktionelle Anmerkung: Angaben zu Orten, Alter und Zeiten wurden geändert.