Dem Produkt sieht man es nicht an
Simon Norris, der am Zentrum für Nachhaltigkeitsmanagement der Leuphana Universität Lüneburg forscht, sagt: „Bei Nachhaltigkeit hat man das Problem: Dem Produkt sieht man meist nicht gleich an, wie nachhaltig es ist.“ Bei einem Smartphone etwa erkenne man die Funktionen sofort, aber nicht, wie es eigentlich hergestellt wurde. „Und wenn man im Supermarkt für alles, was man kaufen will, erstmal beurteilen müsste, ob es nachhaltig produziert ist, wäre man den halben Tag dort.“ Unternehmen müssten also Nachhaltigkeit mehr kommunizieren. Gleichzeitig sei da die Herausforderung, nicht mit Informationen zu überfluten. Siegel vereinfachen die Entscheidungsfindung. Das Bio-Siegel, das von der EU gemeinsam entwickelt wurde, stellt allerdings nur Mindeststandards dar. Deutsche Siegel, wie Bioland oder Demeter, sind strenger.
Der Lebensmittelhersteller Veganz dagegen nutzt ein Sterne-System. Ist ein Produkt umweltfreundlicher, bekommt es mehr Sterne. Eine Studie, an der auch die Leuphana Universität Lüneburg beteiligt war, zeigt, dass Menschen solche einfachen Kennzeichnungen bevorzugen. Lidl experimentiert gerade mit einer Ampelkennzeichnung und nennt sie Eco-Score. Zwar wird Norris zufolge auch kritisiert, Firmen sollten dem Konsumierenden die Entscheidung nicht aufbürden, sondern lieber gleich gute Produkte machen. Aber es gebe auch Studien, die offenbart hätten: Allein die Existenz einer Kennzeichnung könne dazu führen, dass gekennzeichnete Produkte nicht-gekennzeichneten vorgezogen werden. Und möglicherweise weniger nachhaltige Produkt ohne Ampel- oder Sternkennzeichnung links liegen lassen.
Besser gar nicht kommunizieren als falsch kommunizieren?
Doch Achtung: „Man kann Nachhaltigkeit auch überkommunizieren“, warnt Norris. Der Verbraucher könnte so annehmen, „Geschmack“ oder „Qualität“ spielten nur eine untergeordnete Rolle. „Dieses Problem hatte lange Zeit die Ökonische. Die Limonadenhersteller ChariTea und Lemonaid aus Hamburg dagegen erklären zum Beispiel explizit, sie wollen nicht, dass man ihre Getränke aus Mitleid trinkt.“ Auch wenn die Firmen fairen Handel und die Entwicklungshilfe unterstützen. Der Slogan „Trinken hilft“ von Lemonaid: simpel und augenzwinkernd. Humor kann in der Nachhaltigkeitskommunikation manchmal mehr ausrichten als der Appell ans schlechte Gewissen. Die Firma Frosch aus Remagen kommuniziert ihr Umweltbewusstsein nur dezent auf ihren Wasch-, Putz- und Spülmitteln. Dabei hätte sie allen Grund, laut zu sein: Frosch setzt seit 35 Jahren auf ökologische Inhaltsstoffe. Norris: „Es gibt Studien zu Waschmitteln, die zeigen, dass manche Leute denken, natürliche Inhaltsstoffe wirkten nicht so gut wie Chemie.“ Und wer will, nur um ein grünes Gewissen zu haben, mit schmutziger Kleidung herumlaufen?
Auffällig zurzeit: Immer mehr Firmen werben mit Plastikverpackungen, auf denen steht: zu 100 Prozent recycelt. Sie haben erkannt, dass Konsumenten mittlerweile sensibilisiert sind für das weltweite Plastikproblem. Simon Norris: „Kern des Problems ist aber: Wir benutzen zu viel Plastik.“ Etwas Schlechtes wird ein bisschen besser gemacht. „Besser wäre: Wenn Verpackungen erst gar nicht aus Plastik bestünden. Die schlechte Sache gar nicht erst da wäre.“ Manchmal brauche es aber eben einen Zwischenschritt hin zum Guten. Auch die zunehmend matten Verpackungen bei Lebensmitteln erwecken den Eindruck umweltfreundlicher zu sein, weil sie aus Papier sind. Meist sind sie aber genauso aus Plastik oder beschichtetem Papier. „Ein Problem ist auch, wenn ein Unternehmen eine umweltfreundliche Teilleistung überstilisiert, während der Rest des Geschäfts davon unbetroffen ist. Beispiel: Eine Kreuzfahrtgesellschaft bietet vegane Kreuzfahrten an.“ Pluspunkte für nachhaltige Ernährung, das dicke Minus für die Schiffsfahrt bleibt. Oder aber die Eismarke „Ben and Jerry’s“ aus den USA. Die gibt es schon seit 1978 und sie ist dafür bekannt, gemeinnützige Organisationen und Kinderhilfsaktionen zu unterstützen, auf fairen Handel zu setzen und gegen Genmanipulation auf die Straße zu gehen. Im Jahr 2000 hat sie sich von einem der größten Lebensmittelhersteller der Welt – Unilever – kaufen lassen. Der steht immer wieder in der Kritik wegen Palmöl.
Isabella Hafner
Zur Person
Simon Norris forscht am Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lünenburg unter anderem zu Nachhaltigkeitskommunikation. Die Leuphana bietet seit 2003 den berufsbegleitenden Masterstudiengang (MBA) Sustainabilitymanagement an.