Sonderveröffentlichung

Weihnachts- und Neujahrsglückwünsche Die Ulmer und das Marzipan

Marzipan – ein Wort wie ein Märchen: Viele Mythen ranken sich um die Geschichte des Konfekts, ebenso um seinen Namen. Auch Ulmisches mischt sich in die phantastischen und historischen Ausführungen um die leckere Legende.

Der Ulmer Johann Georg Niederegger hat es in Lübeck zur Meisterschaft im Marzipanmachen gebracht. Als Figur ist er selbst im Marzipan-Museum zu bestaunen. Fotos: J.G.Niederegger GmbH & Co.KG

31.12.2019

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Von Heike Viefhaus

Johann Georg, Heinrich Gustav und Wilhelm – drei Ulmer Herren, die ein gut gehütetes Geheimnis teilen. Allesamt sind sie Künstler der süßen Verführung: Aus Mandeln, Zucker und Rosenwasser wissen sie edles Marzipan zu zaubern. Dem russischen Zaren, dem deutschen Kaiser und vielen Generationen von Naschkatzen und Leckermäulern weltweit, haben sie mit ihrem köstlichen Konfekt den Kopf verdreht. Die genaue Rezeptur zur Zubereitung des erlesenen Naschwerks aus dem Hause Niederegger in Lübeck kennen seit jeher nur ganz wenige Leute.

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FOTO: ©GRESEI/SHUTTERSTOCK.COM

Es muss um das Jahr 1800 gewesen sein, als sich der Ulmer Konditorgeselle Johann Georg Niederegger entschloss, seine Heimatstadt zu verlassen, um auf der Wanderschaft bei anderen Meistern zu lernen. Sein Weg führte den Anfang 20-jährigen nach Norddeutschland. In Lübeck, bei Konditor Maret trat er eine Gesellenstelle an. Niederegger übernahm nach Marets Tod 1806 das Geschäft, bevor er 16 Jahre später seine eigene Konditorei in Lübeck eröffnete, die heute Weltruhm genießt. In jener Zeit komponierte er vermutlich seine unvergleichliche Marzipan-Rezeptur, die neben Mandeln und zucker nur noch eine geheime, dem Rosenwasser ähnliche, Zutat enthält. Durch die präzise zeitliche Einordnung erweist sich eine in Ulm und Umgebung grassierende Geschichte eindeutig als Marzipan-Mär: „Dass Niederegger beim Langenauer Konditor Eduard Renz gelernt habe, ist ausgeschlossen“, sagt Gudrun Rogowski, Leiterin des Langenauer Heimatmuseums und verweist auf einen Zeitungsartikel, den der Langenauer Lehrer Matthäus Häußler 1986 verfasst hat: „Eduard Renz wurde demnach erst 1805 in Stuttgart geboren und ist 28 Jahre jünger als der Marzipan-Meister. Er war in Langenau tätig, als Johann Georg Niederegger schon längst in seiner eigenen Konditorei erfolgreich war.“

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War Heinrich Gustav Tröglen einst Konditorengeselle im Unternehmen Niederegger in Lübeck? Der Auszug aus der Festschrift zum 150-jährigen Jubiläums des Ulmer „Café Tröglen“ bestätigt diese Annahme. Foto: privat
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Johann Georg Niederegger, Gründer des Lübecker Marzipanimperiums kam im Jahr 1777 in Ulm zur Welt.
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Wilhelm Köpff, ein Ulmer Konditor, löste 1864 Karl Georg Barth, Niedereggers Schwiegersohn, in der Unternehmensführung ab.

Ulmer mochten kein Marzipan

War es Lübecks Bedeutung als Handelszentrum, die Niederegger in den Norden zog? Oder dass Lübeck schon Anfang des 18. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Tradition als Konditor- und Marzipanstadt nachweisen konnte? In der Mitte des 18. Jahrhunderts machte sich ein weiterer Ulmer Konditorgeselle auf den Weg in die Stadt an der Trave: Heinrich Gustav Tröglen. „Nach seiner Lehrzeit war er zu Fuß bis nach Lübeck gewandert, zu Konditormeister Niederegger, einem gebürtigen Ulmer“, so schreibt Albrecht Rieber in der Jubiläumsschrift zum 150-jährigen Bestehen der Ulmer Konditorei „Tröglen“. Weiter heißt es, er „bemühte sich nun, Marzipan nach Lübecker Art in Ulm mit hübschen Osterhasen und Figuren populär zu machen. Der Erfolg war allerdings nicht sehr groß. Die Ulmer blieben damals den Zuckerhasen und ihrem geliebten Zuckerbrot treu.“

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18 Meter hoch ist die Weißtanne, die in diesem Jahr den Weihnachtsmarkt auf dem Ulmer Münsterplatz zierte. Sie stammte von einem Spender vom Kuhberg.

Ein süßes Geheimnis bleibt

Ob sich Johann Georg Niederegger und der 71 Jahre jüngere Tröglen noch persönlich gekannt haben? Wahrscheinlicher ist es, dass Heinrich Gustav die Niedereggersche Marzipanmachart von dem zehn Jahre älteren Wilhelm Köpff vermittelt bekommen hat. Wie man aus Akten des Ulmer Stadtarchivs lesen kann, war der wohl Sproß einer Ulmer Bäckersfamilie. Ab 1859 dann im Niedereggerschen Betrieb in Lübeck als Gehilfe tätig, bevor er ab 1864 das Geschäft von Niedereggers Schwiegersohn Karl Georg Barth übernahm. Wie und warum Köpff auf die Idee kam, nach Lübeck zu ziehen ist bisher genauso rätselhaft wie die Beweggründe von Niederegger und Tröglen. Aufschluss hätte möglicherweise, das firmeneigene Archiv mit seinen Erinnerungsstücken geben können, „wenn es nicht im Zweiten Weltkrieg bei der Bombardierung Lübecks im März 1942 vollkommen zerstört worden wäre“, sagt Kathrin Gaebel, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der J. G. Niederegger GmbH & Co. KG. Vielleicht liegt es im Wesen des Marzipans selbst, dass so Manches drumherum „süßes Geheimnis“ bleiben soll.

Marzipan: Luxus und Laxans

Schon im 9. Jahrhundert liebten orientalische Kalifen den Marzipangenuss. Die Gaumenfreunde begeisterte allmählich auch Europa, nachdem Kreuzritter, Araber und der venezianische Handel für die Verbreitung des Marzipan gesorgt hatten. Bis ins 18. Jahrhundert hatten Klöster und Apotheker das alleinige Recht, Marzipan herzustellen und zu verkaufen. Als Arzneimittel wirkte es gegen Blähungen und Verstopfung. Mancher schwor auch auf die aphrodisierenden Effekte. Als der Berliner Apotheker und Chemiker Andreas Sigismund Marggraf Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckte, dass der in der Runkelrübe vorhandene Zucker mit dem Rohrzucker chemisch identisch ist, wurde Marzipan auch für nicht adelige Münder erschwinglich.