Vom Gebetsgesang bis zum Popsong
Sonderveröffentlichung

Weihnachtszauber Vom Gebetsgesang bis zum Popsong

Weihnachtslieder gibt es spätestens seit dem Mittelalter – doch es dauerte Jahrhunderte, bis sie ihren Weg von den Kirchen indie Familien und schließlich ins Radio schafften.

Dreimal Weihnachtsmusik in der Region: Rockige Klänge ertönen beim Weihnachtskonzert der Schwäbisch Haller Band GMYP im Anlagencafé (Foto rechts), besinnlich geht es beim Weihnachtskonzert der Kantorei Gaildorf zu (links unten). Eine beliebte Tradition ist auch das Turmblasen – hier vom Crailsheimer Rathausturm mit der Stadtkapelle (links oben). Fotos: Archiv

26.11.2021

Der eine lässt sich von den festlichen Klängen von Bachs „Weihnachtsoratorium“ mitreißen. Die andere schmachtet nach der süßen Melodie von „Last Christmas“. Und dem Dritten wird erst so richtig warm ums Herz, wenn an Heiligabend ganz traditionell „Stille Nacht“ ertönt. Monumentales Chorwerk, leicht sentimentale Popballade und gefühlvolles Lied mit Volksmusikcharakter – auf den ersten Blick haben die drei Musikstücke wenig gemeinsam. Und doch verbindet sie eines: Für viele Menschen sind sie feste Bestandteile der Weihnachtszeit, mit denen sie viele schöne Erinnerungen verbinden und ohne die Weihnachten nur halb so schön wäre.Denn auch das ist klar: Neben Christmette, Weihnachtsbaum, Weihnachtsgans, Plätzchen, Weihnachtsmärkten, dem gegenseitigen Beschenken und vielen anderen Traditionen hat sich in unserer Kultur ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil der Advents­ und Weihnachtszeit etabliert: das Anhören oder gemeinsame Singen und Spielen von Weihnachtsmusik. Doch woher kommt es eigentlich, dass bestimmte Lieder und Musikstücke jedes Jahr aufs Neue zur Weihnachtszeit ertönen und dass wir sie schon fast automatisch mit dem heiligen Fest verbinden?

Luther und die Folgen

Der Ursprung unserer Weihnachtslieder liegt – wie sollte es anders sein – in der Kirche: Die ältesten Weihnachtslieder waren in Latein geschrieben und wurden in der Messe und im Stundengebet gesungen. Im Mittelalter kamen dann die ersten deutschen Lieder, die sogenannten Leisen, hinzu. Daher hat sich bei manchen besonders alten Weihnachtsliedern eine deutsch-­lateinische Mischform erhalten, etwa bei „In dulci jubilo“.

Ein Meilenstein auch in der Geschichte der Weihnachtsmusik war dann die Reformation: Martin Luther lag es ja bekanntlich am Herzen, den Gottesdienst in deutscher Sprache abzuhalten. Er spann diesen Gedanken noch weiter und schuf eine Reihe von Weihnachtsliedern, deren Text nun komplett auf Deutsch gehalten war. Dazu übersetzte der große Reformator etablierte lateinische Texte ins Deutsche und füllte bekannte Volksliedmelodien mit verständlichen Texten. Luthers bekanntestes Weihnachtslied ist wohl „Vom Himmel, da komm ich her“, bei dem er einen selbst gedichteten Text zunächst mit der Melodie eines Spielmannslied unterlegte und später seine eigene, heute gebräuchliche Melodie dazu komponierte.

Luthers Ziel, die Weihnachtsbotschaft mit musikalischen Mitteln unters Volk zu bringen, führten ab dem 17. Jahrhundert zahlreiche Komponisten mit ihren sogenannten Weihnachtshistorien – festlichen Vertonungen des Evangeliums an hohen kirchlichen Feiertagen – fort. Diese waren Vorläufer des wohl berühmtesten weihnachtlichen Chorwerks, Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“, das ja auch in den Kirchen der Region regelmäßig zur Adventszeit aufgeführt wird.

Welthit aus Österreich

Währenddessen entfernten sich die Weihnachtslieder immer weiter vom kirchlichen Kontext und wurden nun auch oft zu Hause gesungen. Unsere Tradition, Weihnachtslieder auf dem Klavier zu begleiten, schließlich entstammt den bürgerlichen Stuben des 19. Jahrhunderts. Damals entstanden die meisten unserer heute bekannten Weihnachtslieder. Viele davon sind übrigens ausländischen Ursprungs: Die Melodie von „O du fröhliche“ etwa ist einem sizilianischen Marienlied entnommen.

Auch „Stille Nacht“, das wohl bekannteste Weihnachtslied der Welt, stammt aus dem 19. Jahrhundert: Es entstand als Co­Produktion des Komponisten Franz Xaver Gruber und des Priesters und Dichters Joseph Mohr und erlebte seine Uraufführung im Jahr 1818 im Weihnachtsgottesdienst in der katholischen Kirche von Oberndorf bei Salzburg. Laut einer Legende hatte einige Stunden zuvor eine Maus den Blasebalg der Kirchenorgel zerbissen. Angeblich haben Gruber und Mohr ihren späteren Welthit dann in hektischer Eile für Gitarre und Gesang komponiert und notgedrungen in dieser Besetzung uraufgeführt.

Erste Weihnachtslieder ohne christlichen Inhalt waren „O Tannenbaum“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ oder „Leise rieselt der Schnee“. Eine unrühmliche Fortführung dieser Bewegung gab es unter den Nazis: Damals wurde – auch mithilfe von Neukompositionen und Umdichtungen bekannter Weihnachtslieder – gezielt versucht, das Weihnachtsfest zu politischen Zwecken zu „entchristlichen“ und einen völkischen Weihnachtskult zu etablieren.

Das jüngste Kapitel in der Geschichte der Weihnachtsmusik schließlich schreibt die Globalisierung: Spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelangen vermehrt fremdsprachige – vor allem englischsprachige – Lieder zu uns. Darunter sind sowohl „echte“ Weihnachtslieder wie „Jingle Bells“ und „We Wish You A Merry Christmas“ als auch Popsongs – angefangen von Bing Crosbys „White Christmas“ über „Last Christmas“ von „Wham!“ bis zu Mariah Careys „All I Want For Christmas Is You“.

Und noch ein weiteres Phänomen hat sich erst in den letzten Jahrzehnten etabliert: Es ist für uns längst normal geworden, dass Weihnachtslieder nicht erst zu Weihnachten, sondern schon in der Adventszeit erklingen – und sei es nur als Hintergrundgedudel im Radio. Frank Lutz