Musdorf: Die dunkle Seite der Muswiese
Sonderveröffentlichung

MUSWIESE 2023 Musdorf: Die dunkle Seite der Muswiese

Berichte über „schröckliche Untaten“ vor allem im finsteren Mittelalter machten damaligen Ordnungshütern schwer zu schaffen

Der Metzgertanz erinnert an ein „schröckliches“ Geschehen, das sich vermutlich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zwischen 1618 und 1648 abgespielt hat. Verlässliche Quellen für das Geschehen gibt es allerdings nicht. Foto: Harald Zigan 

06.10.2023

Wo sich Menschenmassen (und viel Geld) versammeln, sind halbseidene Gestalten und veritable Gauner nicht weit. Diese kriminelle Regel galt vor allem für die Muswiese des Mittelalters: In den Archiven tauchen immer wieder Berichte über „schröckliche Untaten“ auf, die den damaligen Ordnungshütern schwer zu schaffen machten. Im Vergleich dazu herrschen auf dem heutigen Jahrmarkt in Musdorf geradezu paradiesische Zustände - von gelegentlichen Diebstählen und fliegenden Fäusten einmal abgesehen. Auch der Metzgertanz, bis zum heutigen Tag ein Höhepunkt des Programms am Muswiesen-Mittwoch, erinnert an ein geplantes Verbrechen: Die durch keinerlei Quellen belegbare Geschichte besagt, dass einst Metzger durch ihr beherztes Eingreifen den Jahrmarkt vor dem Überfall durch eine Räuberbande bewahrt haben. Zum Dank für ihren mutigen Einsatz erhielten sie das Privileg, am Abend des Hauptmarkttages um ein großes Feuer tanzen zu dürfen, das Holz und den Wein hatte die Herrschaft zu stellen. Erstmals in einer Urkunde taucht der Metzgertanz allerdings erst in einem Buß- und Strafenverzeichnis aus dem Jahr 1704 auf, in dem„unflätige Tänze“ ausdrücklich verboten werden - mit Ausnahme des Metzgertanzes, der allerdings im Salbuch aus dem Jahr 1530 mit einer detaillierten Beschreibung des Marktablaufs mit keinem Wort erwähnt wird.

Historiker halten es durchaus für denkbar, dass sich die heldenhafte Tat der Metzger tatsächlich abgespielt hat, und zwar in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zwischen 1618 und 1648, als eine Vielzahl von marodierenden Banden durch die Lande zog und auch die Muswiese zu einem unsicheren Ort machten.

Verbürgt ist dagegen ein Verbrechen, das sich im Jahr 1677 auf der Muswiese abgespielt hat. Ein Sühnekreuz unweit von Hilgartshausen an der Straße nach Engelhardshausen, auf dem noch die Inschrift „,Ludwig Sch... zu Brüchlingen“ und die Jahreszahl „1677“ zu erkennen sind, erinnert an die ruchlose Tat. Ein Eintrag im Kirchenbuch von Billingsbach verifiziert das steinerne Dokument. Darin heißt es: „Anno 1677, den 18. Oktober, ist Ludwig Schneider von Brüchlingen nach Mußdorf gegangen auf den Markt und von dort nach Hilkertshausen von einem Mörder abwärts geführt und erschlagen worden.“

Auf ein weiteres Kapitalverbrechen bezieht sich ein Dokument, das im Stadtarchiv von Rothenburg aufbewahrt wird. Auf der Muswiese des Jahres 1512 verhaftet Wilhelm von Vellberg, Amtmann zu Werdeck, einen Mann namens Jörg Kern aus Harlang bei Wörnitz. Er steht unter dem Verdacht, einen Mann umgebracht zu haben und muss sich auch einem „peinlichen Verhör“ unterziehen, wird also gefoltert. Ein Schreiben aus Rothenburg rettet dem Verhafteten das Leben: Die Stadt teilt dem Amtmann mit, dass dessen Bruder Michel für die Tat verantwortlich ist und bereits bestraft wurde. Regelrechte Mafia-Strukturen bildeten sich im 18. Jahrhundert unter den Handwerkern heraus, die in Musdorf mit ihren Waren vertreten waren. Mit dem harmlos klingenden Begriff „,Hänseln“ war im Grunde nichts anderes als eine „Schutzgeld“-Erpressung gemeint: Neulinge auf dem Jahrmarkt wurden dazu genötigt, ihren alteingesessenen „Kollegen“ eine je nach Branche oft stolze Summe an Bargeld abzuliefern, die von den „Platzhirschen“ in Alkohol umgesetzt wurde.

Wer sich weigerte, wurde massiv am Auslegen seiner Waren gehindert. Rothenburg beklagte zum Beispiel anno 1729, dass die Schuhmacher aus der Stadt in Musdorf mit diesem „Lösegeld“ drangsaliert werden-junge Handwerker, die sich „bei diesen nahrungslosen Zeiten ohnehin schwer genug tun“, wie die Rothenburger barmten.

Mehrfach untersagte die Marktverwaltung dieses „Hänseln“, das im Laufe der Jahre exzessive Züge annahm und schließlich sogar unter den Bettlern verbreitet war. Die Verbote wurden allerdings über Jahrzehnte hinweg schlicht ignoriert. Die Obrigkeit kapitulierte zunächst - und war schon froh, wenn die rabiaten Handwerker das „,Hänselgeld“ wenigstens in Musdorf und nicht in den Nachbarorten vertranken. Erst im Jahr 1797 war es vorbei mit den Eskapaden der Handwerker - an ihrer Stelle kassierte jetzt die Obrigkeit selbst 15 Kreuzer von jedem Muswiesen-Novizen.

Derlei krumme Dinger tauchen in der modernen Muswiesen-Chronik nicht mehr auf geschweige denn Mord und Totschlag. 1968 machte der Diebstahl einer Gemeindeflagge Schlagzeilen. Das Musdorfer Ortsschild verschwand zweimal, tauchte aber wieder auf. Und der größte kriminelle Coup nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte der Diebstahl eines ausgestellten Bulldogs vom Freigelände gewesen sein. Harald Zigan