Bah Humbug! – schimpft Ebenezer Scrooge über alles, was ihm sentimental und vor allem weihnachtlich vorkommt. Der Begriff, der in Deutschland als gebräuchlich gilt, wird in Großbritannien eng mit der Hauptfigur der Charles-Dickens-Novelle „A Christmas Carol“ in Verbindung gebracht. Das Buch erschien vor genau 180 Jahren, am 19. Dezember 1843.
„Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so einen Humbug gehört“, rief Ex-Premierminister Boris Johnson, als er sich 2019 im Unterhaus Kritik anhören musste. Inzwischen gibt es Scherz-Weihnachtskarten, die Johnson im Outfit des 19. Jahrhunderts zeigen und auf denen die Worte „Bah! Humbug!“ gedruckt sind.
Seit Johnsons Rücktritt im Sommer 2022 wird immer wieder über dessen mögliche Rückkehr spekuliert. Das veranlasste das einflussreiche Online-Portal „Politics Home“ im vergangenen Dezember zu schreiben, Johnson schwebe über seiner Konservativen Partei wie der „Ghost of Christmas Past“ - einer der drei Geister, die den Geldverleiher Scrooge heimsuchen, um ihm seine Gier und Menschenfeindlichkeit auszutreiben und ihn schließlich zu einem großzügigen und liebenswerten Menschen machen.
Doch der Einfluss des Werks geht weit über die Sprache hinaus. Seitdem ist es von Bühnen in der Weihnachtszeit nicht mehr wegzudenken. Für Leinwand und Fernsehen wurden etwa 50 verschiedene Versionen produziert – nicht zuletzt in einer Muppets-Variante mit Michael Caine in der Rolle als Ebenezer Scrooge und Kermit dem Frosch als dessen verarmten Buchhalter Bob Cratchit.
Der große Erfolg von „A Christmas Carol“ liegt nach Ansicht von Cindy Sughrue, der Direktorin des Charles Dickens Museums in London, unter anderem an der Einfachheit der Geschichte. „Es spricht alle Altersgruppen und jedes Publikum an, es ist etwas Universelles und Zeitloses daran“, sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Relevant sei sie aber auch, „weil die Ungleichheiten, die Dickens damals beobachtete, heute noch immer existieren“.
Dickens hatte als Kind am eigenen Leib erlebt, was Armut bedeutet. Nachdem sein Vater in Schuldhaft genommen wurde, musste er als Zwölfjähriger in einer Fabrik für den Lebensunterhalt der Familie schuften. Die Erfahrung hat Dickens nie wieder losgelassen. Kurz bevor er „A Christmas Carol“ schrieb, besuchte er eine Armenschule in London und Fabriken in Manchester, in denen Frauen und Kinder unter unwürdigsten Bedingungen arbeiten mussten.
„Gibt es keine Gefängnisse? (...) Gibt es keine Armenhäuser?“, lässt Dickens Scrooge zu Besuchern sagen, die um Almosen für Bedürftige bitten. Als die Erwiderung kommt, manche würden lieber sterben, als dorthin zu gehen, fügt Scrooge hinzu: „(...) dann sollten sie das besser tun und die Überbevölkerung verringern“.
Dickens wollte die Politik aufrütteln. Doch statt in ein Pamphlet verpackt er seine Botschaft in einen Roman. „Er hoffte, dass die Geschichte eine große und einflussreiche Leserschaft erreichen würde und bei den Menschen ankommen würde, die sozialem und politischen Wandel einen Schub verleihen könnten. Und das ist genau, was er erreichte“, sagt Sughrue.
Ganz selbstlos war Dickens allerdings nicht. Er war in finanziellen Schwierigkeiten, als er seine Weihnachtsgeschichte schrieb. Er brauchte dringend einen kommerziellen Erfolg. Der stellte sich zwar erst mit der Zeit ein, weil die erste Ausgabe sehr aufwendig gestaltet war und nur 6000 Stück davon gedruckt wurden, aber dafür umso stärker bei weiteren Auflagen.
An der weit verbreiteten habe das Weihnachten These, Dickens wie es heute gefeiert wird, durch sein Buch geradezu erfunden, gibt es aber Zweifel. „Er hat es nicht erfunden, aber er hat dabei geholfen, es populär zu machen“, sagt Sughrue. In England und auch in Amerika war Weihnachten in den Jahrhunderten vor Dickens in Verruf geraten. Die puritanische Bewegung sah in dem Fest etwas Verwerfliches, ein Anlass für sexuelle Ausschweifungen und Trunkenheit. Zwischen 1647 und 1660 war Weihnachten in England sogar offiziell verboten.
Zu einer Wiederbelebung von Weihnachten hatten nicht zuletzt die deutschstämmigen Adligen beigetragen, die in Großbritannien vom frühen 18. Jahrhundert an die Königsfamilie stellten. Es wird Queen Charlotte (1744-1818), der Frau von König George III., zugeschrieben, den Weihnachtsbaum nach England gebracht zu haben. Der ebenfalls in Deutschland aufgewachsene Prinz Albert (1819 - 1861) und seine Frau Königin Victoria machten die Tradition mit in der „Illustrated London News“ veröffentlichten Darstellungen populär, die das Königspaar mit seinen Kindern um einen geschmückten Baum herum zeigten.
Auch die Tradition der Weihnachtskarten geht auf die viktorianische Zeit zurück, steht aber nicht in Verbindung mit Dickens. Die erste kommerzielle Weihnachtskarte wurde in derselben Woche herausgebracht wie „A Christmas Carol“. Die Einführung der ersten Briefmarke, nur drei Jahre zuvor, ebnete den Weg dafür, dass das Verschicken von Weihnachtskarten zum Massenphänomen wurde.
Kaum ein Zweifel besteht aber daran, dass Dickens der Tradition des Truthahnbratens an Weihnachten zu großer Beliebtheit verhalf. Als Scrooge, durch die Geister geläutert, am Morgen des Weihnachtstags aus dem Fenster schaut, beauftragt er einen Jungen auf der Straße damit, seinem Buchhalter Cratchit und dessen Familie einen riesigen Truthahn zu bringen.
Dass Dickens selbst gerne Truthahnbraten aß, ist bestens belegt. Immer wieder bedankte sich der Autor in Briefen für Vögel, die ihm als Geschenke geschickt wurden. Als ein Truthahn, den er per Post bestellt hatte, in einem Zugunglück verloren ging, beschwerte er sich in Großbuchstaben mit den Worten „WHERE IS THAT TURKEY?“ („Wo ist dieser Truthahn?“). Als er jedoch erfuhr, dass der Vogel in dem Feuer stark beschädigt worden war und die noch essbaren Teile zu günstigen Preisen an Passanten verkauft wurden, zeigte er sich versöhnlich. dpa, Christoph Meyer