Nicht nur Deutschland erlebte eine „Stunde Null", sondern auch die Muswiese. Den ganzen Weltkrieg über, von 1939 bis 1945, war in Musdorf nicht gefeiert worden. Und auch schon 1938 hatte der Jahrmarkt ausfallen müssen - damals wegen der Maul- und Klauenseuche. Eine solch lange Pause hat schon manches Fest, und mag es noch so reich an Tradition sein, dahingerafft.
Muswiese in Gefahr
Auch die Muswiese war in Gefahr. Ich hatte schon seit 1938 nach der Auflösung des Oberamts Gerabronn den Eindruck, dass es den Herren im neuen Oberamt in Crailsheim am liebsten gewesen wäre, wenn es nur noch das Volksfest gäbe und die Muswiese sanft entschlafen würde", erinnerte sich Karl Walch 2007 im Gespräch mit dem Hohenloher Tagblatt. Walch wurde im Februar 1947 Bürgermeister von Rot am See, lenkte deren Geschicke 30 Jahre lang und tat alles dafür, dass es eben nicht so kam. Er ist der Vater der modernen Muswiese. Schon 1946, also vor Walchs Amtszeit, gab es ein erstes, vorsichtiges Aufbäumen des Hohenloher Herzensfestes. Viele Städte und Dörfer lagen noch in Trümmern, alles war Mangelware, als vom 8. bis zum 10. Oktober - also an den klassischen Markttagen von Dienstag bis Donnerstag - gefeiert wurde. Auf dem Speiseplan standen nichts als Sprudel, dünnes Leichtbier, Salzheringe vom Fass und Bockwürste.
Der Vergnügungspark bestand aus einem Kinderkarussell und einer Schiffschaukel. Aber immerhin: Am Mittwoch ging der Metzgertanz über die Bühne und wurde unter anderem vom amerikanischen Militärgouverneur von Crailsheim, einem Captain Alley, besucht.
Ihre Muswiesen-Liebe entdeckten die Hohenloher in dieser entbehrungsreichen Zeit schnell wieder. „Fast zu viele Leute hatten bis tief nach Mitternacht Vergnügen an Tanz und Spiel", schrieb das „Zeit-Echo", die unter US-Kontrolle stehende Zeitung. Das Angebot freilich konnte nicht mit der Nachfrage Schritt halten. In dem Bericht zur Muswiese hieß es weiter: „Über die Messe selbst ist nicht viel zu sagen, da man die Ansprüche von vornherein in dieser schweren Nachkriegszeit nicht zu hoch schrauben durfte. Es gab wohl einiges zu kaufen, aber die Preise, die vor allem die Landbevölkerung abgeschreckt hat, waren viel zu hoch. Außerdem musste man bei den meisten Dingen einen sehr niedrigen Qualitätsstand feststellen. Es ist nur zu hoffen, daß man im nächsten Jahr etwas mehr vom Frieden spürt, daß vor allem viel mehr gute Sachenangeboten werden und daß den Kauflustigen durch normale Preise Gelegenheit gegeben wird, ihre Taler loszuwerden."
Pech für Enten und Hühner
Die Hoffnung sollte sich erfüllen - nach und nach. 1947 war das kulinarische Angebot schon etwas üppiger. „Pech hatten vor allem die Geißen, Enten und Hühner, denn die waren auch ohne Lebensmittelmarken zu haben", erzählte Karl Walch dem HT. Er erinnerte sich auch daran, dass er seinerzeit höchstpersönlich auf dem Ernährungsamt in Stuttgart eine Sonderzuteilung an Getränke- und Fettmarken auftrieb. Mithilfe Hohenloher Tauschware organisierte Walch außerdem gemeinsam mit dem Viehhändler Ernst Hofmann etwas Wein und Schnaps in Bad Cannstatt.
1948 dann lud Bürgermeister Walch per Zeitungsannonce zu einem wiedererstarkten Markt: „Ein Fest (...), das Jahrhunderte, vielleicht sogar mehr als ein Jahrtausend überdauert hat, vermag auch der Zahn unserer Zeit nicht zu zernagen. Während wir schon in den beiden letzten Jahren unentwegt den Anfang gemacht haben, stehen wir jetzt mitten in neuem Beginnen, der Muswiese wieder ihr friedensmäßiges Gesicht zu geben. Freilich werden die Älteren noch manches vermissen, was (...) ihnen die Muswiese lieb und zu einem besonderen Erlebnis gemacht hat. Aber: wem von den Jungen schlägt nicht das Herz höher, wenn er jetzt wieder (...) schon von weitem die Zelte und Wagen, die zahlreichen Stände und Verkaufsbuden sieht und die Orgelmusik der Karussells, Schaukeln und anderen Fahr- und Schaugeschäfte hört? Und wer von den Alten wird nicht von der Erinnerung gepackt und zurückversetzt in die eigene sorglosere Jugend?"
Es steckt der unvergängliche Zauber der Muswiese in diesen Zeilen, denn so ähnlich könnte man es auch heute formulieren - wobei wir Gegenwärtigen trotz Ukraine-Kriegs und Energiekrise fast aus dem Vollen schöpfen können. Übrigens: Nach 1945 ging es schneller bergauf als gedacht. Schon 1949 waren die Metzgertänzer zu Scherzen über die gerade überwundene Not aufgelegt. Einem Schafbock warfen sie einen Umhang mit der Aufschrift „So sieht ein markenfreier Hammel aus" über.
Es ging also in Erfüllung, was Walch 1948 so formuliert hatte: „So soll die Muswiese aufs neue ein Sammel- und Treffpunkt, das Wiedersehensfest aller Hohenloher, werden!" Nach dem Krieg war es so. Nach der Corona-Pandemie ist es nicht anders. Sebastian Unbehauen