Zu den vielen historischen Kuriositäten der Muswiese zählt das Schankrecht für fünf Landwirte: Seit „undenklichen Zeiten“ dürfen sie ihren Gästen Speis‘ und Trank auftischen. Bislang ist in den Archiven trotz intensiver Suche noch kein Dokument aufgetaucht, das dieses Privileg bestätigt. Zu diesem erlauchten Kreis der landwirtschaftlichen Gastronomen zählt auch die Familie Ziegler, die heuer nach einer Auszeit im Vorjahr wieder unter die temporären Wirtsleute geht.
Unter Entzugserscheinungen habe er schon gelitten, als im Vorjahr kein einziges Getränk und kein einziger Braten auf seinem Hof über den Tresen ging, sagt Georg Ziegler. Was ihm vor allem fehlte, waren die Gespräche mit den Gästen. Weil sich kurzfristige Personalprobleme als unlösbar erwiesen, musste die Familie 2022 die Notbremse ziehen. Inzwischen ist alles wieder im Lot, und so kann die Muswiesenwirtschaft wieder starten.
Im Jahr 2000 aktivierte die Familie wieder das uralte Schankrecht. Als Stätte der Gastlichkeit diente seinerzeit aber nicht mehr das anno 1820 erbaute und 1975 abgerissene Bauernhaus, wo bis 1952 im ersten Stockwerk die Gäste verköstigt wurden, sondern zwei Zelte auf dem Hof - eines für die Küche und eines für maximal rund 500 Besucher.
Eine Sensation war damals die Selbstbedienung, die es bis dahin in keiner Muswiesenwirtschaft gab. Das Prinzip hat sich bewährt und soll beibehalten werden. Dennoch braucht es rund 35 Personen, um die Muswiesenarbeit zu stemmen. Nicht nur die Familie, sondern die ganze Verwandtschaft hilft tatkräftig mit. Denkbar kurz sind die Wege für das Schweinefleisch: Kurz vor dem Jahrmarkt und dann noch einmal am Muswiesen-Ruhetag am Montag werden die Tiere aus dem eigenen Betrieb geschlachtet. „Hausmacher sind auch die Kuchen, die von den Frauen der Familie gebacken werden.
Eines der frühesten Zeugnisse für das ungeschriebene Gastronomie„Gesetz“ in Musdorf stammt aus dem Jahr 1811. Seinerzeit schrieb ein Steuereintreiber an das „Königlich Hochlöbliche Kameralamt in Roth am See“, dass er „von den Mußdorfer 5 Bauern, welchen zur Meßzeit das Weinausschänken erlaubt ist“, eingezogen kein „Conzessionsgeld“ habe, da die fünf Landwirte als „privilegierte Schildwirthe zu betrachten sind.“
Es folgt in dem Schreiben an das Finanzamt in Rot am See der glasklare Satz: „Schon seit undenklichen Zeiten haben die Einwohner von Mußdorf das wahrscheinlich durch Herkommen entstandene Recht, während der Dauer des Mußwiesenmarktes Wirthschaft treiben zu dürfen.“
Und nicht nur das: Seinerzeit waren die temporären Muswiesen-Wirte offenbar von fast allen Abgaben befreit - und der „,Steuerfahnder“ regte deshalb an, dass die Bauernwirte wenigstens „das gesetzliche Conzessionsgeld mit 1 Gulden und 32 Kreuzern“ berappen sollten. Ansonsten aber wollte auch der Finanzbeamte nicht an dem Schank-Privileg rütteln, denn zur „Erhaltung des Marktes“ spiele die „so nothwendige Gerechtsame des Ausschanks“ eine wichtige Rolle.
Wie kamen die Bauern nun zu diesem lukrativen Schankrecht? Eine bislang nicht beweisbare, aber wohl sehr wahrscheinliche Theorie geht davon aus, dass die örtlichen Bauern irgendwann die Baulast und damit die Unterhaltspflicht der Michaelskirche übernahmen - und dafür im Gegenzug ihr gastronomisches Privileg erhielten, das noch heute zum unverwechselbaren Charakter der Muswiese beiträgt. Denn nicht gigantische Bierzelte, sondern auf Zeit geöffnete Bauernwirtschaften prägen das Bild dieses Jahrmarktes bis heute.
Einen indirekten Hinweis auf das Schankrecht der Bauern und den Zusammenhang mit dem baulichen Unterhalt der Dorfkirche gibt ein Dokument aus dem Jahr 1961. Im Vorfeld der Flurbereinigung schloss der damalige Bürgermeister von Rot am See, Karl Walch, mit den fünf Landwirtsfamilien Hornung, Früh, Ziegler, Hofmann und Uhl einen Vertrag ab, der die uralten Rechte der Realgemeinde Musdorf ablöste - zumeist Grundstücke, die gemeinsam bewirtschaftet oder von allen Bauern als Weide genutzt wurden.
Ein Passus des Vertrages regelte zudem, dass die Landwirte künftig nicht mehr für den baulichen Zustand des Gotteshauses verantwortlich sind, sondern die Evangelische Kirchengemeinde in Rot am See. Im Gegenzug erhielt die Kommune einige Grundstücke zur Komplettierung des Muswiesengeländes. Am Schankrecht wurde mit diesem Vertrag allerdings nicht gerüttelt - hier blieb alles beim Alten. Und so kommt es, dass auch die Familie Ziegler nach wie vor in den Genuss dieses historischen Privilegs kommt. Harald Zigan