Können Sie sich noch erinnern, wie freudig Sie als Kind Weihnachten entgegengefiebert haben? Ein paar Jahrzehnte später schießt das Stresslevel mit jedem Tag näher am Fest durch die Decke: Geschenke besorgen und verpacken, Plätzchen backen, Wohnung dekorieren, Menü planen, Gans oder Karpfen ordern, Tischdeko und Tannenbaum besorgen und natürlich schmücken. Ach ja, und wenn die Verwandtschaft dann noch anrückt, sollte auch die Bude in Schuss sein.
So oder so ähnlich ausgepowert liegen bei vielen spätestens an Heiligabend die Nerven blank. „Das macht empfindlich und angreifbar“, sagt Piroska Gavallér-Rothe, Trainerin für Wertschätzende Kommunikation. In dieser Verfassung sei man nur einen Funken weit entfernt vom nächsten Krach. Das rät die Expertin:
1. Stress entlarven
Machen Sie einen Check: „Was sind die Zeitesser im Advent und an Weihnachten?“ Piroska Gavallér-Rothe gibt Frage-Anstöße: Muss das übliche Treffen mit alten Klassenkameraden immer im Dezember sein? Können nicht Oma und Opa mit zur Kitafeier? Müssen wirklich dringend noch Plätzchen gebacken werden?
2. Kreative Stoppschilder
Aber auch mit einer entrümpelten Adventszeit droht statt dem ersehnten harmonischen Fest viel Ungemach. Oft reicht eine blöde Bemerkung oder ein fieser Giftpfeil und der süße Duft nach gebrannten Mandeln und Glühwein vermischt sich mit dicker Luft. Dagegen schlägt Gavallér-Rothe ein Familienprojekt vor: Basteln Sie zusammen lustig gestaltete Reminderschilder, die überall in der Wohnung bereitstehen. „So kann man humorvoll und ohne laut zu werden zum Ausdruck bringen, dass sich jemand gerade einem Minenfeld nähert.“ Auf den Schildern könnte etwa stehen „Kurz mal Pause machen!“
3. Wo wird gefeiert?
Laut einer YouGov-Umfrage bestätigt jeder Vierte, dass es an Weihnachten in der Beziehung immer oder gelegentlich zu Streitereien kommt. Jeder dritte Streit (34 Prozent) dreht sich dabei um den Ablauf und die Organisation der Weihnachtstage. Schon die Frage, wo das Fest verbracht werden soll, ist ein Minenfeld. „Wer diese Diskussion nicht alle Jahre wieder haben möchte, macht aus dem Pflicht- ein Jahresprogramm“, rät der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger. So legt man am Jahresanfang fest, wo Ostern und Weihnachten verbracht werden – und das wechselt dann jedes Jahr zwischen Eltern und Schwiegereltern.
4. Mehr Gelassenheit
Weil laut Krüger jede dritte Trennung nach Weihnachten vollzogen wird, spricht er sogar vom „Fest des Streits“. Die Gründe dafür lägen auf der Hand: „Die Ursache ist, dass zu Weihnachten Menschen mit lauter ungelösten Konflikten zusammenkommen. Man besucht sich meist nicht aus Sympathie, sondern weil Anwesenheitspflicht herrscht.“ Das sei wie eine Theatervorstellung, bei der im Drehbuch stehe, dass es friedlich und harmonisch ablaufe. „Das muss einfach scheitern!“, sagt Wolfgang Krüger. Daher brauche es fürs Fest mehr Gelassenheit und weniger Perfektion. Wolfgang Krüger empfiehlt sogar, mit Streit zu rechnen.
5. Ausstiegsszenarien planen
Und wenn es wieder so weit ist? Opa weiß alles besser, der Partner fährt einem über den Mund, die Mutter stichelt – und das Gespräch endet dann beim Ukrainekrieg. Laut den Experten sollte man sich schon zuvor ein paar Ausstiegsszenarien überlegen. Ein Satz, der vor einer Eskalation retten könne, ist: „Ich merke gerade, wie ich bei diesem Thema Stress bekomme und eine Pause brauche. Ich gehe mal kurz an die frische Luft.“ Und wenn einem zum Heulen zumute ist, sei es gut, wenn man im Vorfeld mit zwei, drei Menschen vereinbart hat, dass man anrufen kann: „Tränen dort zu vergießen, wo Sie darauf vertrauen können, dass man Sie auch versteht - das hat viel mit einem achtsamen Umgang mit sich selbst zu tun“, sagt Gavallér-Rothe.
6. Am Rande der Absurdität
Bei schwierigen Themen rät Wolfgang Krüger auch zu einem Schuss Humor: „Manchmal hilft ein Themenwechsel mit einer Frage am Rande der Absurdität“, so der Psychotherapeut. Beispiele: Der Karriere-Frage kontert man mit „Wie alt wollt ihr werden?“, der Kinder-bekommen-Frage mit „Sollen wir lieber schon mal unser Testament schreiben?“.
7. Der Fremde an der Festtafel
Krüger hat noch einen kreativen Tipp, um sich dem üblichen Clinch zu entziehen: „Laden Sie sich einen Freund oder eine Kollegin mit ein! Sobald jemand Fremdes mitfeiert, hört die vertraute Dynamik auf.“ Das sei wie eine Schere im Kopf. Alle reißen sich zusammen, weil sie denken: Was wird der oder die sonst über uns sagen? Claudia Wittke-Gaida, dpa