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Aus gebraucht mach neu

MONTAGE MESCHKOWSKI FOTO: TIERO & SHOWCAKE/ADOBESTOCK.COM

Aus gebraucht mach neu

Klimaziele Deutschland muss seine Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Beispiele von Unternehmen in Baden-Württemberg zeigen, wie das erfolgreich gelingt.

Mit bloßem Auge ist die kleine Unebenheit auf der Rückseite des Brausenkopfs kaum zu sehen. Aber dem geübten Blick der Qualitätskontrolleure beim Armaturenhersteller Hansgrohe entgeht der Fehler nicht. Das Mängelexemplar wird aussortiert und landet im Ausschuss. Früher wurde es geschreddert und entsorgt. Denn die Chromschicht vom darunterliegenden Kunststoffkern zu trennen, ist komplex. Doch der Mittelständler aus dem Schwarzwald hat das Problem im Sinne der Umwelt gelöst. Seit einem Jahr läuft am Produktionsstandort in Offenburg/Elgersweier ein neu entwickeltes Recyclingverfahren. Dabei werden die galvanisierten Kunststoffe von verchromten Bauteilen wie etwa Handbrausen, Wandrosetten oder Knöpfen vorzerkleinert und durch Schockwellenbehandlung und magnetischer Separation entschichtet.

„Ein verlängerter Lebenszyklus der Geräte reduziert die CO₂-Emissionen.
Allard Pheifer
CHG-Meridian

Der so gewonnene „reine“ Kunststoff wird direkt vor Ort zur Herstellung von Neuteilen genutzt. „Das Wiederverwerten von Produkten und Materialien reduziert sowohl unseren Ressourceneinsatz als auch Transportwege“, sagt Steffen Erath, Head of Innovation Management & Sustainability.„ Unsere neue Aufbereitungsanlage bietet uns daher nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile.“

Inzwischen hat Hansgrohe im Rahmen einer Partnerschaft mit dem niederländischen Unternehmen Hydraloop das Thema Grauwasserrecycling in sein Portfolio aufgenommen. Bad und WC gelten als Verbrauchsstelle Nummer eins für wertvolles Trinkwasser in privaten Haushalten. Ein Aufbereitungssystem, etwa so groß wie ein Schrank, sammelt das Abwasser aus Duschen, Badewannen, bei Bedarf auch aus der Waschmaschine sowie das Kondenswasser aus Wärmepumpen und Wäschetrocknern. Das so genannte Grauwasser wird rein biologisch gereinigt, desinfiziert und steht dann wieder als zertifiziertes Recyclingwasser für Nichttrinkwasseranwendungen wie etwa Toilettenspülung und Gartenbewässerung zur Verfügung.

Digitaler Wertsoffkeislauf

Rückläufer aus Leasing und Nutzungsverträgen werden professionell wiederaufbereitet. Foto: lensworld/ adobestock.com
Rückläufer aus Leasing und Nutzungsverträgen werden professionell wiederaufbereitet. Foto: lensworld/ adobestock.com

Knapp 250 Kilometer nördlich von Schiltach stapeln sich in einer Industriehalle gebrauchte Laptops, Tablets und Smartphones. Dort, im hessischen Groß-Gerau, sammelt der Technologie- und Finanzierungsspezialist CHG-Meridian Rückläufer aus Leasing- und Nutzungsverträgen. Das Unternehmen aus Weingarten übernimmt nicht nur die Beschaffung und Finanzierung von IT-Ausstattung. Es erledigt auch die professionelle Wiederaufbereitung der Hardware. Dazu werden die Daten auf den Computern gelöscht, die Geräte selbst inspiziert und aufgefrischt und dann auf dem Gebrauchtmarkt verkauft. Defekte oder nicht mehr verwendbare Bestände werden von spezialisierten Partnerunternehmen zerlegt und soweit wie möglich dem Stoffkreislauf wieder zugeführt. Rund eine Million IT-Geräte - und damit 94 Prozent aller Leasingrückläufer - hat CHG-Meridian im vergangenen Jahr wieder in Umlauf gebracht. „Das Ergebnis dieses Kreislaufsystems ist: verlängerter Lebenszyklus der Geräte, damit Schonung von Ressourcen und die Reduktion von CO₂Emissionen. Unsere Kunden verringern so ihren ökologischen Fußabdruck.“, stellt Allard Pheifer, Group Lead Sustainability bei CHG-Meridian, fest. Recycling von Kunststoffen, Zweitnutzung von Grauwasser, Aufbereitung und Wiedervermarktung benutzter IT-Hardware-drei Beispiele dafür, wie Unternehmen aus Baden-Württemberg die Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Dabei liegt Deutschland im Vergleich der EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich gar nicht schlecht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in der EU vor dreißig Jahren lediglich 18,8 Prozent des Siedlungsabfalls recycelt. 2022 waren es 48,7 Prozent. Deutschland steigerte in diesem Zeitraum seine Recyclingquote von 39,5 Prozent auf 69,3 Prozent. Dennoch: Will die größte Volkswirtschaft in Europa ihre Klimaziele bis 2045 erreichen, müssen weniger Ressourcen verbraucht und Rohstoffe aus bereits produzierten Waren zurückgewonnen werden, statt sie in der Natur abzubauen. Noch die alte Bundesregierung hat daher Ende vergangenen Jahres eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) beschlossen, um die Grundlage für den Übergang zu einer zirkulären Wirtschaft zu schaffen. Ziel ist, Abfälle zu vermeiden und Produkte künftig langlebiger und kreislauffähig zu gestalten, damit die in ihnen enthaltenen Wertstoffe häufiger wiederverwendet werden können.

Für die Unternehmen entstehen daraus auf der einen Seite Belastungen und Herausforderungen. Andererseits aber auch neue Chancen und die Aussicht auf profitable Technologien und Geschäftsmodelle. CHG-Meridian ist ein gutes Beispiel dafür. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz treiben die technische Transformation von Unternehmen rund um den Globus voran. Das US-Marktforschungsinstitut Gartner prognostiziert allein in diesem Jahr weltweite Investitionen von 5,6 Billionen Dollar in die IT-Infrastruktur. „Circular-Tech-Lösungen, wie wir sie bieten, ermöglichen den Zugang zu modernen, digitalen Technologien, ohne Kapital zu binden und ermöglichen damit eine Schonung der Liquidität“, hebt CHG-Nachhaltigkeitsexperte Allard Pheifer hervor. „Zudem ermöglichen sie einen Technologieeinsatz, der skalierbar und ressourcenschonend ist.“

„Kein Unternehmen kann den Wandel alleine stemmen.“
Steffen Erath
Hansgrohe

Für den Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft braucht es allerdings nicht nur den Einsatz von Technologie. „Die Unternehmen müssen auch ihre Abläufe unter die Lupe nehmen, um den Material- und Energieverbrauch und die Produktion von Abfällen zu reduzieren. Dazu ist eine umfassende Betrachtung der Prozesse unabdingbar, um Transparenz in die Zusammenhänge zwischen Material- und Energiebilanzen zu bringen,“ sagt Britta Schwartze, promovierte Verfahrensingenieurin. Viele Unternehmen setzten dabei nach ihren Beobachtungen häufig eher auf „Bauchgefühl“, statt Material- und Energiebilanzen von Prozessen transparent abzubilden.„Produktionsprozesse sind meist sehr komplex, und die Abhängigkeiten von Material- und Energieeinsatz sind nicht so einfach zu durchschauen“, so Schwartze. „Daher macht eine Modellierung Sinn, bei der dann auch die verschiedenen Optimierungsszenarien durchgespielt werden können.“

Wichtig für Hansgrohe-Experte Steffen Erath bleibt, über den eigenen Tellerrand zu schauen. „Zirkularität braucht Kollaboration“, ist Erath überzeugt. „Kein Unternehmen kann den Wandel allein stemmen-branchenübergreifende Partnerschaften sind der Schlüssel. Es reicht nicht, weniger Umweltschäden anzurichten - wahre Innovation bedeutet, positive ökologische und soziale Effekte zu schaffen.“ [!] Thomas Luther

Zur Person

Steffen Erath
ist als Wirtschaftsingenieur, Produktmanager und -entwickler verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit in der Herstellung und Nutzung von Brausen und Armaturen bei der Firma Hansgrohe.

Zur Person

Allard Pheifer,
CHG-Meridan, Fachmann in Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeits- und Prozessmanagement. Mitbegründer eines Start-up, mit Fokus auf die Digitalisierung von Geschäftsprozessen in dynamischen Märkten.

Zur Person

Britta Schwartze
fokussiert sich auf die Berechnung, Analyse und Optimierung von Ressourceneffizienz und deren Auswirkungen auf die Umwelt, wie Product und Corporate Carbon Footprints.

Foto: Pellinni/adobestock.com
Foto: Pellinni/adobestock.com

Werkzeug für den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft
Unternehmen mit Sitz in Baden-Württemberg
können mit dem Software-Tool „bw!MFCA“ sowohl ihre Ressourceneffizienz berechnen als auch ihre Fertigungsprozesse ganzheitlich abbilden. Die Software kann über die Website des badenwürttembergischen Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Instituts für Umwelttechnik heruntergeladen sowie lizenziert werden (https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt-natur/umwelt-und-wirtschaft/angebotefuer-unternehmen ).