Um die Geburt herum gibt es viele Erzählungen, die meisten davon positiv, vielleicht etwas romantisiert: Wenn erstmal das Neugeborene in den Armen liegt, fängt das große Glück an. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass eine Entbindung den Körper der Frau stark belasten und insbesondere im Beckenbodenbereich zu teilweise langfristigen Beeinträchtigungen führen kann. Solche Beschwerden sind für die jungen Mütter, die sich ohnehin in einer Ausnahmesituation befinden, unangenehm, werden möglicherweise nicht ernst genommen oder als „Frauenleiden“ verharmlost, und bleiben daher oft ein Tabuthema.
Schwierigere Geburtsverläufe können zu Problemen mit der Blasenentleerung, zu Harn- und Stuhl-Inkontinenz, zu Senkungen der Genitalorgane und zu sexuelle Funktionsstörungen führen. 25 Prozent aller Frauen erleben nach der Geburt Inkontinenz, circa zehn Prozent fühlen sich dadurch gestört und belastet. „Der Leidensdruck, den Funktionsstörungen des Beckenbodens nach der Entbindung erzeugen können, ist sehr belastend und hat spürbaren Einfluss auf die psychische Gesundheit der Frauen“, sagt Prof. Dr. Miriam Deniz. Postpartale Funktionsstörungen des Beckenbodens und deren allumfassende Behandlung sind die Herzensangelegenheit der Gynäkologin, die das Beckenbodenzentrum der Universitätsfrauenklinik am Michelsberg leitet. Während der gesamten Zeit als Assistenzärztin arbeitete Miriam Deniz am universitären Beckenbodenzentrum. Nach ihrer abgeschlossenen Facharztausbildung verließ der damalige Oberarzt der Urogynäkologie das Zentrum – und Deniz wurde die Leitung übertragen. „Eine große Herausforderung, aber dank der Unterstützung des Teams hat das gut geklappt.“ Mehr als zehn Jahre später ist sie der Thematik eng verbunden, in diverse Forschungsprojekte involviert und national wie international vernetzt: Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und Plastische Beckenbodenrekonstruktion.
Therapie für Frauen jeden Alters
Das Beckenbodenzentrum ist, angeregt durch Deniz, seit 2014 zertifiziert, was sich in der engen interdisziplinären Zusammenarbeit mit spezialisierten Proktolog:innen, Urolog:innen, Radiolog:innen und Physiotherapeut:innen widerspiegelt. Als eines der wenigen Zentren dieser Art in Deutschland wird in Ulm außerdem mit der Neuro-Urologie und der Kinderurologie zusammengearbeitet: „Daher sind die Patientinnen bei uns allumfassend sehr gut versorgt.“
Prof. Dr. Miriam Deniz, Beckenbodenzentrum, Uniklinik Ulm
Gerade im Umgang mit Frauen, die nach der Geburt Schwierigkeiten mit den Funktionen des Beckenbodens haben, ist Sensibilität gefragt. „Wir gehen so empathisch und behutsam wie möglich mit unseren Patientinnen um. Es ist sehr wichtig, ihre Beschwerden ernst zu nehmen und ihnen zu vermitteln, dass sie alles offen ansprechen können.“ Deswegen habe sie sich zusätzlich im psychotherapeutischen Bereich weitergebildet, ergänzt Deniz. „Wir bemühen uns, die individuellen Ursachen präzise zu diagnostizieren und bleiben so lange dran, bis wir eine Lösung gefunden haben.“ Das Zentrum bietet alle konservativen und operativen Methoden an, um die Beschwerden anzugehen. Deniz verfügt über die höchste urogynäkologische Zertifizierungsstufe – jede Behandlung wird mit viel Erfahrung durchgeführt. Zu den Therapiemethoden gehört insbesondere die Arbeit mit speziell weitergebildeten Physiotherapeut:innen, an die die Patientinnen vermittelt werden. Andere Patientinnen bekommen individuell angepasste Pessare, die den Beckenboden frühzeitig stützen. Außerdem gibt es elektrische Biofeedbackgeräte, die die Rückbildungsgymnastik unterstützen können. „Wenn es um schwerwiegendere Probleme wie Blasenentleerungsstörungen geht, arbeiten wir mit der Proktologie und Urologie zusammen und entwickeln Spezialtherapien.“
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Behandlung älterer Frauen: Oft manifestieren sich Beckenbodenprobleme im Laufe der Wechseljahre. „Wir behandeln viele Frauen ab 55 oder 60 Jahren, die mit zunehmender Inkontinenz kämpfen oder Senkungsbeschwerden feststellen. Auch sie werden selbstverständlich umfassend beraten und bestmöglich versorgt, auch um unnötige Operationen zu vermeiden.“
Aufklärung und Prävention
Die Wirksamkeit präventiver Möglichkeiten ist wissenschaftlich schwierig und mit hohem Aufwand verbunden. Gut erforscht ist die Wirkung von Beckenbodentraining während und nach der Schwangerschaft, es minimiert das Risiko von Inkontinenz. „Wir führen am Zentrum aktuell eine neue Präventionsstudie durch, in der wir Frauen im ersten Drittel ihrer Schwangerschaft über Beckenbodenprävention beraten“, sagt Deniz. „Gerade um das geburtshilfliche Setting im Kreißsaal herum haben sich inzwischen präventive Maßnahmen etabliert, die nachweislich das Risiko von Beckenbodenstörungen senken, besonders in der letzten Phase der Geburt – dort besteht das größte Risiko.“ Auch Übergewicht könne Senkungssbeschwerden beeinflussen, ergänzt Deniz.
Die Medizinerin wünscht den Betroffenen aus jeder Altersgruppe den Mut, sich Hilfe zu suchen: „Frauen sollten es nicht als normal akzeptieren, wenn etwas sich nicht normal anfühlt. Ich möchte sie ermutigen, ihre Beschwerden zu kommunizieren, ob bei der Frauenärztin oder der Hebamme, und das nicht nur nach der Geburt, sondern auch im Alter. Man sollte dem eigenen Gefühl trauen und es nicht selbst oder von anderen verharmlosen lassen. Unsere Ambulanzen sind zwar leider oft überlaufen, daher muss man etwas Geduld mitbringen. Aber man kann sich immer an uns wenden.“ jun
Prof. Dr. med. Katharina Hancke

Prof. Dr. med. Miriam Deniz
ist Geschäftsführende Oberärztin sowie Leiterin und Koordinatorin des interdisziplinären Beckenbodenzentrums. Sie ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Weiterbildungsberechtigte für den Facharzt / die Fachärztin Gynäkologie und Geburtshilfe. Weiterbildung in fachgebundener Psychotherapie, Sexualmedizin. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen postpartale Beckenbodenfunktionsstörungen, Beckenbodenprotektion. Sie ist Mitglied der Leitlinienkommissionen „S3 Diagnostik und Therapie des weiblichen Descensus genitalis“ und „S3-Leitlinie Schwangerenvorsorge bei unkomplizierter Schwangerschaft“.
Kontakt

Universitätsklinikum Ulm
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Prittwitzstraße 43
89075 Ulm
cm.frauenklinik@uniklinik-ulm.de
Tel.: 0731 500-58688
www.uniklinik-ulm.de/frauenheilkunde-und-geburtshilfe