Brustkrebs ist mit 30 Prozent die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen – und die Diagnose ist noch immer angstbesetzt. Prof. Wolfgang Janni betont aber: „Brustkrebspatientinnen können heute der Diagnose mit weitaus mehr Optimismus begegnen als noch vor 10 oder 20 Jahren.“ Über alle Brustkrebsfälle gerechnet schätzt Janni die Heilungschancen (als 10-Jahres-Überlebensrate) auf 80 bis 85 Prozent. Dass sie sich derart verbessert haben, habe vielfältige Gründe, wie der Ulmer Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Gespräch erläutert. Er ist Direktor des Universitätsfrauenklinikums am Michelberg und gehört zu den international führenden Brustkrebsspezialisten. Insbesondere liegen heute den behandelnden Ärzteteams deutlich mehr Informationen über die einzelnen Tumortypen und ihre Eigenschaften vor – und das ermögliche es, extrem zielgerichtet und individualisiert zu behandeln.
Deeskalation statt Standardtherapie
Untersuchungen zur Brustkrebsvorsorge sind heute für die meisten Frauen eine Selbstverständlichkeit: „Wir können inzwischen in vielen Fällen früh diagnostizieren und das Ausmaß der Therapie dank der Personalisierung entsprechend skalieren“, sagt Janni und nennt drei Beispiele. Wenn etwa Patientinnen mit hormonempfindlichen Brustkrebsformen vor der Operation antihormonelle Medikamente bekommen, kann eine anschließende genomische Gewebeanalyse Auskunft darüber geben, inwiefern die Therapie bereits gewirkt hat und ob (und in welcher Dosis) eine Chemotherapie oder das operative Entfernen von Gewebe überhaupt medizinisch notwendig ist. Ein anderes Beispiel für Deeskalation hängt mit der INSEMA-Studie zusammen, an der Janni und weitere Forschende aus Ulm maßgeblich beteiligt waren. Sie gilt als Meilenstein in der modernen Behandlung von frühem Brustkrebs bei Frauen unter 50 Jahren und konnte zeigen, dass bei vielen Patientinnen auf bestimmte operative Maßnahmen gänzlich verzichtet werden kann. Das betrifft besonders die Entfernung des Wächterlymphknotens aus der Achselhöhle – früher häufig Standard. Dadurch fallen viele begleitende operative Risiken und die Möglichkeit späterer Komplikationen endgültig weg, wie der früher häufig mit der Brustkrebsoperation assoziierte „dicke Arm“. Als drittes Beispiel nennt Janni die intraoperative Radiotherapie, bei der während der Operation direkt bestrahlt wird. „Besonders für ältere Patientinnen mit niedrigem Rückfallrisiko eine sehr schonende Option.“
Personalisierung ist Trumpf
Entscheidend in der heutigen Brustkrebstherapie ist die Personalisierung. Dank individueller Gewebeanalyse (Biopsie) können die jeweiligen Tumortypen heute extrem genau charakterisiert werden, was die Möglichkeit einer individualisierten Therapie, die möglichst exakt auf die jeweilige Tumorart zugeschnitten ist, enorm erhöht. Natürlich sei dadurch die Brustkrebstherapie für die Ärztinnen und Ärzte komplizierter geworden. „Doch für die Betroffenen ist das großartig, denn sie bekommen erstens die richtige und zweitens eine möglichst zielgerichtete Therapie.“
Neue, schlaue Medikamente
Auch die Entwicklung neuer Medikamente im Bereich der gynäkologischen Onkologie stimmt den Brustkrebsspezialisten zuversichtlich. Die Gruppe der Immunonkologika sind in der Lage, Tumorzellen sehr genau zu erkennen und zu zerstören. „Wir müssen die Therapie allerdings auch sehr gut überwachen, da die Immunonkologika gefährlich werden und in wenigen Fällen andere Organe angreifen können.“ Darin liege die Stärke der großen Erfahrung und Expertise eines zertifizierten Brustkrebszentrums. „Wir setzen die Medikamente täglich mehrfach ein. Daher gibt es eigentlich nichts, was wir nicht schon gesehen haben. Außerdem arbeiten wir als Universitätsklinikum interdisziplinär: Für jede mögliche Nebenwirkung haben wir Ansprechpartner auf höchster Ebene, die wir konsultieren können, von der Endokrinologie bis zur Nephrologie.“
Eine weitere neue Medikamentengruppe sind die sogenannten ADCs bzw. Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. „Das Antikörpermolekül dockt an der Tumorzelle an und bringt die Chemotherapie mit – wie ein Taxi. Und durch die Tumor-Typisierung wissen wir genau, wo das Taxi hinfahren muss.“ Eine ADC-Therapie ist nicht nur weitaus wirksamer als eine konventionelle Chemotherapie, sie hat auch viel geringere Nebenwirkungen.
In allen Phasen der Therapie stehen Patientinnen am Ulmer Brustkrebszentrum speziell ausgebildete „Breast Care Nurses“ zur Seite, die sie weit über die rein medizinische Versorgung einfühlsam begleiten. Ein Ulmer Alleinstellungsmerkmal. Die Möglichkeiten der personalisierten Medizin sorge in ganz ähnlichem Maße für die Deeskalation in der Behandlung der vier Formen von Genitalkrebs, führt Janni weiter aus. „Beim Gebärmutterhalskrebs ist der regelmäßige Pap-Test während der frauenärztlichen Untersuchung ganz entscheidend, um frühzeitig Zellveränderungen feststellen zu können, weit bevor sie überhaupt zum Krebs werden.“
Frauen mit der Diagnose Schamlippenkrebs gegenüber könnten die gynäkologische Chirurgie in Ulm inzwischen gewährleisten, die Schamlippen nach Vulvakarzinom bei voller Funktionalität zu rekonstruieren und dabei auf die Entfernung der meisten Lymphknoten in der Leiste, bis auf den Wächterlymphknoten, zu verzichten. Für die Betroffenen bedeutet das ein geringeres Komplikationsrisiko, höhere Sicherheit und Funktionalitätserhalt.
Ähnlich wie beim Brustkrebs sei auch Gebärmutterhöhlenkrebs inzwischen sehr genau typisierbar: „Es gibt nicht mehr den einen Gebärmutterhöhlenkrebs“, so Janni. Die notwendige Therapie könne dank der Personalisierung wiederum sehr genau bestimmt werden. Die operative Entfernung der Gebärmutter sei daher nur noch in bestimmten Fällen notwendig. „Wir wissen sehr genau, ob wir mehr oder weniger Chemotherapie geben müssen und wie hoch die Heilungschancen sind.“ Beim Eierstockkrebs sei noch immer entscheidend, den Tumor komplett zu entfernen; doch die postoperativen Maßnahmen seien auch hier inzwischen viel zielgerichteter.
Prof. Dr. med. Wolfgang Janni

Prof. Dr. med. Wolfgang Janni
ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universitätsklinik Ulm und Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit den Schwerpunktweiterbildungen Gynäkologische Onkologie, Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die gynäkologische Onkologie, die operative und medikamentöse Senologie sowie die Liquid Biopsy. Er sitzt der Leitlinienkommission für Brustkrebs der deutschen Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe vor, die über ärztliche Handlungsempfehlungen entscheidet. Er forscht auf dem Feld der Brustkrebserkrankungen und widmet sich dem Nachweis und der Charakterisierung und Behandlung der im Blut zirkulierenden Tumorbestandteile.

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