Noch bis Ende der 1970er-Jahre war Brustkrebs eine Erkrankung, die in den meisten Fällen zum Tod geführt hat. Verschiedene Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass die Sterberate seither kontinuierlich rückläufig ist: Das Bewusstsein für Vorsorgeuntersuchungen nahm stetig zu und ist heute für die meisten Frauen eine Selbstverständlichkeit. Die Medizin entwickelte Früherkennungsverfahren mit hohen Erfolgsquoten, allen voran das Mammografie-Screening, das seit 2005 für Frauen zwischen 50 bis inzwischen 74 Jahren in Deutschland als Kassenleistung erbracht wird.
Und dennoch: Die öffentliche Wahrnehmung von Brustkrebs ist bis heute negativ geprägt, die Diagnose angstbesetzt. Noch immer herrschen medial transportierte Beispiele von Frauen vor, die an Brustkrebs sterben. Außerdem sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass fast jeder Mensch eine von Brustkrebs betroffene Frau kennt, sagt Prof. Wolfgang Janni. Der Ulmer Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist Direktor des Universitätsfrauenklinikums am Michelberg. Er gehört zu den international führenden Brustkrebsspezialisten und sitzt der Leitlinienkommission für Brustkrebs der deutschen Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe vor, die über ärztliche Handlungsempfehlungen entscheidet.
Grund für Optimismus
Mit 30 Prozent ist Brustkrebs die häufigste aller Tumorformen bei Frauen in Deutschland. Prof. Janni aber weiß: „Brustkrebspatientinnen können heute der Diagnose mit weitaus mehr Optimismus begegnen als noch vor 10 oder 20 Jahren.“ Über alle Brustkrebsfälle gerechnet schätzt Janni die Heilungschancen (als 10-Jahres-Überlebensrate) auf 80 bis 85 Prozent. Das hat vielfältige Gründe.
Personalisierte Diagnostik
Dank individueller Gewebeanalyse (Biopsie) können die jeweiligen Tumortypen heute extrem genau charakterisiert werden, was die Möglichkeit einer individualisierten Therapie, die möglichst exakt auf die jeweilige Tumorart zugeschnitten ist, enorm erhöht.„Während meiner Zeit als Assistenzarzt hat man nur wenige Eigenschaften von Tumorzellen bestimmen können. In den letzten Jahren gab es einen exponentiellen Anstieg - es ist eine ganze Armada von Tumortypen geworden.“
Natürlich sei dadurch die Brustkrebstherapie komplizierter geworden: „Würde ich versuchen, alle heute möglichen Therapiewege zu visualisieren, wäre das komplexer als der U-Bahn-Fahrplan von München“, so Janni. „Wir Mediziner tagen jede Woche viele Stunden im Tumorboard, um über die beste Therapieform für jede einzelne Patientin zu beraten. Für die Betroffenen ist das selbstverständlich großartig, denn sie bekommen erstens die richtige und zweitens eine möglichst zielgerichtete Therapie.“
Daneben sorgt besonders die Entwicklung neuer Medikamente im Bereich der gynäkologischen Onkologie für die große Zuversicht des Brustkrebsspezialisten. In den vergangenen fünf bis sieben Jahren wurden mehrere Medikamente für den Markt zugelassen, an deren Entwicklung das von Janni geleitete Brustkrebszentrum mitgearbeitet hat.
Scharf gestelltes Immunsystem und Chemotherapie-Taxi
Zwei prominente Beispiele hebt der Mediziner hervor. "Bei Immunonkologika handelt es sich um Immun-Antikörper, die das Immunsystem der Patientin so scharf stellen, dass sie die Tumorzellen erkennen können. Man muss sich vorstellen, dass Tumorzellen wie besonders geschickte Drohnen unterhalb des Radars des Immunsystems fliegen können. Dank der Immunonkologika können wir diese Tumorzellen jetzt erkennen. Das macht das Medikament extrem machtvoll.“
Janni berichtet von einer Patientin, bei der vor fünf Jahren ein metastasierendes zerebrales malignes Melanom diagnostiziert wurde - früher war man damit innerhalb weniger Monate tot. Die mit Immunonkologika behandelte Patientin ist heute stabil. „Wir müssen die Therapie allerdings auch sehr gut überwachen, da die Immunonkologika gefährlich werden können und in wenigen Fällen andere Organe angreifen.“ Darin liege die Stärke der großen Erfahrung und Expertise eines zertifizierten Brustkrebszentrums. „Wir setzen die Medikamente täglich mehrfach ein. Daher gibt es eigentlich nichts, was wir nicht schon gesehen haben. Außerdem arbeiten wir als Universitätsklinikum interdisziplinär: Für jede mögliche Nebenwirkung haben wir Ansprechpartner auf höchster Ebene, die wir konsultieren können, von der Endokrinologie bis zur Nephrologie.“
Eine weitere neue Medikamentengruppe sind die sogenannten ADCs bzw. Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. „Patientinnen erkläre ich das immer als die ,schlaue Chemotherapie'. Die konventionelle Chemotherapie greift nicht nur Tumorzellen, sondern leider auch gesunde Zellen an, weswegen der ganze Körper massiv geschwächt wird und etwa die Haare ausfallen. Bei ADCs ist ein Antikörpermolekül mit einem ,Chemotherapie´-Molekül zusammen geschweißt. Das Antikörpermolekül dockt an der Tumorzelle an und bringt die Chemotherapie mit - wie ein Taxi. Und durch die Tumor-Typisierung wissen wir genau, wo das Taxi hinfahren muss.“ Eine ADC-Therapie ist nicht nur weitaus wirksamer als eine konventionelle Chemotherapie, sie hat auch viel geringere Nebenwirkungen.
Viele Patientinnen erhalten diese Medikamente neoadjuvant, also noch vor einer Operation. Dies habe Janni zufolge zwei Vorteile: erstens müsse oft viel weniger bösartiges Gewebe entfernt werden, da die Medikamente den Tumor bereits deutlich minimieren konnten. So komme die früher standardmäßige Entfernung der Lymphknoten in den Achseln inzwischen kaum noch vor. Zweitens könne anhand einer Analyse des operativ entfernten Gewebes die Wirksamkeit der Therapie noch genauer überprüft und so noch präziser über den weiteren Therapieverlauf entschieden werden.
Und was passiert danach?
Innerhalb der von Janni betreuten, durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten und schon jetzt international beachteten SURVIVE-Studie wird die bisherige Brustkrebsnachsorge grundlegend hinterfragt: Sie untersucht, ob sich die Überlebenschancen von Brustkrebspatientinnen mithilfe von regelmäßigen Bluttests, die DNA-Spuren von Krebszellen nachweisen können, verbessern lassen.
Julika Nehb
Prof. Dr. med. Wolfgang Janni
Prof. Dr. med. Wolfgang Janni ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universitätsklinik Ulm und Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit den Schwerpunktweiterbildungen Gynäkologische Onkologie, Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin.
Seine Forschungsschwerpunkte sind die gynäkologische Onkologie, die operative und medikamentöse Senologie sowie die Liquid Biopsy. Er forscht auf dem Feld der Brustkrebserkrankungen und widmet sich dem Nachweis und der Charakterisierung und Behandlung der im Blut zirkulierenden Tumorbestandteile.
Kontakt
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Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
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